Zum 15. Mal lädt Initiator Dr. Walter Döring, ehemaliger Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg, zum „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ nach Schwäbisch Hall ein. Seine Diagnose: Den Deutschen fehlt Vertrauen. Doch mit Pessimismus lässt es sich nicht zurückgewinnen, sondern mit klaren politischen Linien, ist er im Interview mit dem PROMAGAZIN überzeugt.

Herr Döring, „Deutschland braucht Zuversicht“ lautet das Motto beim diesjährigen „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“. Auf dem Zukunftswiesen Summit haben Sie im Oktober in Ihrer Rede appelliert, aufzuhören, den Wirtschaftsstandort Deutschland schlechtzureden. Das gab damals viel Applaus. Müssen Sie als Initiator des „Gipfeltreffens der Weltmarktführer“ diesen Appell jetzt, drei Monate später, noch einmal verschärfen?
Dr. Walter Döring: Es ist unbestritten, dass wir in Deutschland momentan in einer schwierigen Lage sind. Aber trotzdem: Wir müssen auch mal schauen, was es an positiven Nachrichten gibt. Wir werden auf dem „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ viele Stimmen hören, die deutlich machen: Der Standort Deutschland hat Perspektive. Wenn man ständig sagt, alles ist schlecht, setzt sich das fest – dann bleibt es schlecht und wird noch schlechter. Wir wollen bewusst dagegen setzen und zeigen: Leute, es gibt immer noch Anlass und gute Begründungen für Optimismus.
Ist eines der grundlegenden Probleme der Deutschen mangelndes Vertrauen? Da misstrauen viele den bürgerlichen, demokratischen Parteien. Da misstrauen Bürger dem Steuersystem. Man misstraut Unternehmen. Man misstraut den Medien, der Bezahlbarkeit von Energie und der Weltpolitik.
Döring: Für mich ist das genau das richtige Stichwort: Vertrauen. Vertrauen ist enorm verloren gegangen, sicher auch durch die Ampel, sicher auch dadurch, dass manche bezüglich der Darstellung einfach übertreiben. Wenn man alle drei Tage irgendeine Negativmeldung aus den Medien vernimmt, und zuletzt oft das Gefühl bekam, dass „die da oben“ gar nicht richtig wissen, in welche Richtung es gehen soll, geht Vetrauen verloren. Das Wichtigste, was Unternehmen brauchen, ist eine Zukunftsperspektive und Verlässlichkeit. Verlässlichkeit schafft Vertrauen, Vertrauen schafft Verlässlichkeit.
Aber verlorenes Vertrauen lässt sich bekanntlich schwer wieder aufbauen.
Döring: Meiner Meinung nach muss für Unternehmer deutlich werden: Ihr werdet entlastet in der Bürokratie – das ist ein Wahnsinn. Ihr werdet entlastet bei den Energiepreisen. Ihr werdet davon ausgehen können, dass Eure Forschungsanstrengungen unterstützt werden. Und der Mittelstand darf davon ausgehen, dass es nicht mehr Subventionen in Milliardenhöhe für die Großen gibt, die der Mittelstand über seine Steuern bezahlen muss.
Wer müsste jetzt wie handeln?
Döring: Ich denke, die Unternehmer setzen darauf, dass es ab März eine neue Bundesregierung gibt, die dann hoffentlich klare Linien vorzeichnet. Und egal, wer die Regierung stellt – er wird mit der Axt durch den Bürokratie-Dschungel gehen müssen. Wenn man sich vorstellt, dass der durchschnittliche Mittelständler 14 Stunden pro Woche braucht, um die ganze Bürokratie zu bewältigen – das sind Milliardenbeträge, die verloren gehen, die produktiver eingesetzt werden können.
Und wie sollte sich Deutschland geopolitischen Herausforderungen stellen?
Döring: Ich glaube, dass wir Freihandelsabkommen wie mit Mercosur brauchen. Dieses Abkommen ist nach 20 Jahren endlich unter Dach und Fach. Es darf nie wieder so lange dauern, bis Handelsabkommen geschlossen sind. Wir brauchen Märkte, wir wollen uns diversifizieren, wollen weniger abhängig von China sein. Ja – aber dann muss man stattdessen etwas anderes machen. Die Kappung von Beziehungen nach China ist Unsinn. Sie können die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt nicht kappen. Man muss sich trotzdem breit aufstellen. Deshalb brauchen wir Freihandelsabkommen.
Herrscht bei uns in der Region ein anderes, vertrauensvolleres „Mikroklima“ dank der besonderen Dichte an Weltmarktführern und Hidden Champions?
Döring: Wir haben in der Region unglaubliches Glück mit unseren Weltmarktführern. Zum einen sind die in der ganzen Welt unterwegs, sonst wären sie keine Weltmarktführer. Wir haben Unternehmen, die hervorragend arbeiten und gut durch die Corona-Krise gekommen sind – denken Sie an Recaro. Wir sind zum Glück nicht so sehr von der Automobilindustrie abhängig wie andere Regionen. Manchmal möchte man meinen, wir sind hier auf der Insel der Glückseligen.
„Weltmarktführer“ – so heißt auch ihr Buch, das vor vier Jahren erschien, mit vielen Unternehmensporträts aus den Reihen „unserer“ Erfolgsunternehmen vor Ort. Worin ähneln sich die Erfolgsgeschichten?
Döring: Es ist kein Zufall, dass über 70 Prozent der deutschen Weltmarktführer Familienunternehmen sind. Eigentümer haben eine andere DNA. Da wird in langen Linien gedacht und nicht in Quartalszahlen. Da wird Mut bewiesen, in etwas „hineinzuforschen“, das nicht gleich morgen gigantischen Erfolg bringt. Es gibt auch eine andere Zugehörigkeit der Mitarbeiter. Familienunternehmen denken anders als anonyme Konzerne. Das tut uns gut – und den Unternehmen. Dazu kommt, dass in der Region einige Unternehmen untereinander in heftigem Wettbewerb stehen. Aber Wettbewerb ist gut und gesund. Man braucht ihn. Ich wundere mich immer, dass man im Sport jeglichen Wettbewerb spannend findet, aber in Unternehmen nicht.
Sendet man wirklich das Signal vom spannenden Wettbewerb, indem man die Bundesjugendspiele abschafft?
Döring: Das ist eine Katastrophe. Wenn man schon bei Kindern den Wettbewerbsgedanken tötet, muss man sich nicht wundern. Wir müssen in der Gesellschaft insgesamt wieder mehr an den Leistungsgedanken anknüpfen. Wir werden in der Welt nicht mithalten, wenn wir über Vier-Tage-Woche diskutieren und immer weniger arbeiten. Wir sind jetzt schon bezüglich der Jahresarbeitszeit Schlusslicht.

Wie blicken denn andere Staaten auf diesen vermeintlichen Luxus geringerer Arbeitszeiten?
Döring: Ich bin viel in China und im Baltikum unterwegs. Da wird gesagt: Das Volk der Deutschen nimmt den völlig falschen Weg. Ich hoffe, dass Einsicht einkehrt, dass es so einfach nicht weitergeht.
Mit Produktivität aus der Krise also. Woran sollten sich Unternehmer und Mitarbeiter noch ein Beispiel nehmen?
Döring: Ich habe damals in meinem Buch „Die drei aus einer Klasse“ Herrn Sturm, Herrn Würth und Herrn Berner porträtiert – weil sie Vorbilder sind. Weil sie in einer verdammt schwierigen Zeit gegründet haben und ihre Unternehmen zu Weltmarktführern aufgebaut haben. Von keinem der Drei kann man sagen, dass ihm irgendwas in die Wiege gelegt worden ist. Im Gegenteil. Sie sind unter schwierigen Konditionen gestartet. Es gibt viele, die einfach den Mut und die Innovationskraft hatten, und einen Antrieb aus innen heraus. Das finde ich beispielhaft.
Fleiß, Mut und Ideenreichtum zeichnen also für Sie einen guten Unternehmer aus. Wie sehen für Sie ideale Führungspersönlichkeiten aus?
Döring: Das Über-den-Tellerrand-Hinausschauen ist essenziell. Neugierig sein ist auch ein wichtiger Punkt. Sich immer fragen: Was kann ich verbessern. Sie werden bei wohl keinem Unternehmen hier die berühmten „Sprung-Innovationen“ sehen. Sondern den koninuierliche Versuch, jeden Tag ein Stückchen besser zu werden. Eine Vorbildfunktion ist ebenfalls gelebtes Verantwortungsgefühl den Mitarbeitern gegenüber. Vorbild, Verantwortung, Neugier, das sind die Kriterien, nach denen man sagt: Zu dem Unternehmer schaut man als Mitarbeiter auf.
Vorbilder an der Unternehmensspitze nehmen Mitarbeiter bei Veränderungsprozessen mit. Und Veränderungen können, wenn sie glücken, Vertrauen wieder stabilisieren. Was wünschen Sie sich von den politisch Verantwortlichen nach den Neuwahlen, um Veränderungen zu bewirken und Vertrauen zurückzugewinnen?
Döring: Ich wünsche mir sehr, dass man in den ersten hundert Tagen der neuen Regierung eine Marschrichtung für die nächsten vier Jahre definiert und nicht, dass man im Juni etwas verkündet und es im Oktober schon wieder ändert. Verlässlichkeit und klare Rahmenbedingungen sind ganz zentrale Punkte. Über Verlässlichkeit kommen wir wieder ins Vertrauen.
Und was wünschen Sie sich für die Gäste des „Gipfeltreffens der Weltmarktführer“?
Döring: Mein Wunsch ist, dass die Teilnehmer sagen: Wir haben in diesen Tagen wieder eine Menge Neues erfahren. Dass die Zuhörer neue Impulse für sich mitnehmen können. Es heißt ja: „Von den Besten lernen“.
Zur Person
Dr. Walter Döring studierte Geschichte und Anglistik in Tübingen und arbeitete nach der Promotion als Studienrat. 1980 wurde Döring Mitglied der FDP, gehörte für die Liberalen dem Landesvorstand Baden-Württemberg an, war mehrere Jahre mit einer Unterbrechung Landesvorsitzender. Bis 2004 war Döring zudem Mitglied des FDP-Bundesvorstandes, und ab 1996 Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident Baden-Württembergs. 2012 gründete Döring die ADWM GmbH, die Akademie Deutscher Weltmarktführer und initiierte das jährliche „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“.
Interview von Natalie Kotowski