Inklusion: Unsichtbare Barrieren abbauen

„Barrierefreiheit bedeutet nicht nur die klassische Rampe“: Irina Richter berät Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen. Foto: Stadt Heilbronn

Sensibilisieren, teilhaben, integrieren: Als Inklusionsbeauftragte der Stadt Heilbronn setzt sich Irina Richter insbesondere für die Belange von Menschen mit Behinderung ein. Im Interview erzählt sie, wieso gerade unsichtbare Beeinträchtigungen mehr Sichtbarkeit benötigen.

Wie sieht die Arbeit einer Inklusionsbeauftragten konkret aus?

Irina Richter: Der wichtigste Teil ist meine Funktion als Vertrauens – und Ansprechperson für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige, die ich neutral und weisungsungebunden in allen Lebensbereichen berate.

Und der zweite Bereich?

Richter: Ein weiterer großer Teil meiner Arbeit ist es, das Thema Barrierefreiheit in der Stadtverwaltung voranzubringen und die Kolleginnen und Kollegen bei der Umsetzung zu unterstützen. Barrierefreiheit bedeutet ja nicht nur die klassische Rampe, sondern auch beispielsweise die digitale Barrierefreiheit und vieles mehr. So haben wir zum Beispiel mittlerweile eine Homepage, die mit einer Hilfssoftware, einem sogenannten Screenreader, vorlesbar ist. Zudem haben wir Leichte Sprache-Texte und Gebärdensprachvideos auf unserer Internetpräsenz, ebenso wie eine Kontrastversion für Menschen, die aufgrund einer Seheinschränkung durch einen weißen Hintergrund geblendet werden.

Last but not least…

Richter: Der dritte Bereich umfasst die Themen Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung. Meine Aufgabe ist es, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Hierfür braucht es Verständnis in der Bevölkerung und das Schaffen eines größeren Bewusstseins für ihre Bedarfe. Dafür haben wir unter anderem am 3. Dezember – das ist der internationale Tag der Menschen mit Behinderung – einen Aktionstag mit verschiedenen Schwerpunkten eingeführt, um die Themen Barrierefreiheit, Inklusion und Leben mit Behinderung in den Fokus zu rücken.

Und welche Themen werden hier behandelt?

Richter: Im letzten Jahr stand beispielsweise Kultur im Mittelpunkt. Hierfür haben wir einen inklusiven Poetry Slam-Workshop mit anschließender öffentlicher Aufführung organisiert als klassische Unterhaltungsveranstaltung. Während Corona gab es eine Online-Ausstellung, in der Menschen mit Behinderungen ihre Erfahrungen präsentieren konnten. In einem anderen Jahr wurde ein Praktikumstag in Betrieben in der Region durchgeführt, um die Aufmerksamkeit auf das Thema Arbeit zu lenken.

Die Stadt Heilbronn hat einen Inklusionsbeirat.  Wie setzt sich dieser zusammen?

Richter: Den Inklusionsbeirat haben wir 2017 eingeführt. Auf den 20 Sitzen nehmen elf Menschen mit verschiedenen Behinderungsarten sowie eine Angehörige von einem Kind mit Behinderung Platz. Die Behinderungsarten reichen dabei von Seh- und Hörbehinderungen über psychische Erkrankung, Autismus und Sprachflussstörung bis hin zu Geheinschränkungen und Mehrfachbehinderung. Für jede Behinderungsart gibt es einen Sitz. Einen weiteren Sitz habe ich selbst. Zudem gehören sieben Gemeinderätinnen und Gemeinderäte zu unserem Gremium.
Es ist uns wichtig, dass der Beirat verschiedene Bedarfe abdeckt, damit die Stadtverwaltung beim Abbau von Barrieren optimal beraten werden kann.

Welche Barrieren konnten bereits abgebaut werden?

Richter: Bei Veranstaltungen achten wir beispielsweise auf Rollstuhlgerechtigkeit und haben eine Höranlage im Einsatz, um Menschen mit einem Hörgerät das Hören zu vereinfachen. Ein Hörgerät kann zwischen Haupt- und Nebengeräuschen nicht unterscheiden, sodass ein großer Geräuschteppich entsteht. Durch die Höranlage werden die Nebengeräusche direkt rausgefiltert. Zudem ist bei vielen Veranstaltungen eine Gebärdensprachdolmetscherin dabei, um die sprachlichen Barrieren für gehörlose Bürgerinnen und Bürgern abzubauen. Sollten weitere Bedarfe bestehen, gibt es grundsätzlich die Möglichkeit, uns diese mitzuteilen, damit wir nach individuellen Lösungen suchen können.

Im Bereich barrierefreier Brandschutz konnten wir im Rathaus Alarmanlagen nach dem Zwei-Sinne-Prinzip umsetzen. Das bedeutet, dass das Alarmsignal sowohl hör- als auch sichtbar ist und somit sowohl bei Seh- als auch bei Höreinschränkung wahrgenommen werden kann.

Und wie sieht das Thema Barrierefreiheit bei Unternehmen aus?

Richter: Das Landesbehindertengleichstellungsgesetz verpflichtet nur Verwaltungen und Behörden zur Barrierefreiheit, die Privatwirtschaft ist davon ausgenommen. Entsprechend finden sich an vielen Orten noch zahlreiche Barrieren, auch wenn ein wachsendes Bewusstsein erkennbar ist. Arbeitgeber sind ab einer gewissen Größe zwar verpflichtet, eine gewisse Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Behinderung einzustellen, doch auch hier gibt es ein Hintertürchen in Form einer Ausgleichsabgabe.

An wen können sich Unternehmen wenden, wenn sie sich zum Thema Barrierefreiheit informieren möchten?

Richter: Hier ist der Integrationsfachdienst eine kompetente Anlaufstelle.

Im Sommer 2023 finden in Berlin die Special Olympics Weltspiele statt. Heilbronn ist mit Neckarsulm in diesem Jahr Host Town und empfängt 59 Gäste aus Chile. Wie wichtig ist es, sich hierfür als Stadt einzusetzen?

Richter: Generell ist es immer sehr wichtig, sich als Stadt für Inklusion einzusetzen. Der Sport ist hierfür ein besonders gut geeignetes Feld, denn respektvoller Umgang, Rücksichtnahme und Fairplay sind grundlegende Gemeinsamkeiten der beiden Bereiche. Die Special Olympics Weltspiele sind die größten sportlichen Spiele für Menschen mit mentaler und mehrfacher Beeinträchtigung. Dass sie in diesem Jahr in Deutschland stattfinden, erzeugt eine große öffentliche Aufmerksamkeit, von der wir durch unsere Teilnahme am Host Town Program auch in Heilbronn profitieren. Am 14. Juni 2023 veranstalten wir anlässlich unseres chilenischen Besuchs ein öffentliches inklusives Sportfest im Pichterich-Stadion in Neckarsulm. Um 17:30 Uhr geht es los, der Eintritt ist frei und wir freuen uns schon sehr, hier Menschen mit und ohne Behinderung zusammen zu bringen, denn Begegnungsräume schaffen ist ein Schlüssel für gelebte Inklusion.

Interview: Teresa Zwirner

Zur Person

Als Inklusionsbeauftragte ist Irina Richter die unabhängige Kontaktstelle bei Anliegen rund um die Themen „Leben mit Behinderung“ und „Barrierefreiheit in der Stadt Heilbronn“.