„Make Europe great again!“

Die Europäische Union ist ins Wanken geraten. Nie zuvor – so scheint es – stand das Staatenbündnis vor größeren Herausforderungen. Doch es lohnt sich, für das bislang Erreichte zu kämpfen. Denn unsere eigene Vergangenheit zeigt: Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Was für ein Jahr! Die Briten haben sich dafür entschieden, die Europäische Union zu verlassen, die Amerikaner haben Donald Trump zu ihrem Präsidenten gewählt, den geplanten Handelsabkommen der EU mit Kanada oder den USA werden große Steine in den Weg gelegt, die Bewältigung der Flüchtlingskrise beschäftigt Europa weiter Tag und Nacht …

Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass es in Europa eine Menge ungelöster Probleme gibt. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Doch das ist nicht die Zeit, sich der Frustration hinzugeben und zuzusehen, wie die Europäische Union vor unseren Augen langsam zerfällt. Das dürfen wir nicht zulassen. Wenn die EU jetzt auseinanderbricht, werden wir nie wieder die Kraft dazu haben, sie wieder zusammenzufügen. Es ist der Moment, sich zusammenzureißen und uns auf die Stärken der Gemeinschaft zu besinnen. Leider hat man viel zu häufig den Eindruck, dass viele vergessen zu haben scheinen, worauf sich die europäische Idee gründet und was es bedeutet, Europäer zu sein:

Die Europäische Union bedeutet Frieden. Mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg hat die bisher längste Friedensperiode in der europäischen Geschichte begonnen. Das ist etwas sehr Besonderes – vor allem in einer Welt, in der rings um uns herum bewaffnete Konflikte herrschen, die hunderttausende von Menschenleben kosten. Wir können auch stolz sein auf unsere gemeinsamen europäischen Werte: die Achtung und Wahrung der Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit. Dafür haben die Europäer jahrhundertelang mit Worten und Waffen gekämpft. Diese Werte müssen wir bewahren und auch beschützen – denn darauf basiert unser Zusammenleben, das geprägt ist von Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz und Gerechtigkeit.

Die Europäische Union bedeutet vertiefte internationale Zusammenarbeit. Wir müssen uns daran erinnern, dass die Europäischen Nationen beschlossen haben, zusammenzuarbeiten, um gemeinsame Probleme zu lösen, die nicht einfach an den Grenzen haltmachen, wie zum Beispiel der Klimaschutz. Das ist auch gut so. Es darf nicht gehen – jeder für sich allein, sondern alle zusammen.

Die Europäische Union bedeutet Wachstum und Wohlstand. Zu verdanken haben wir dies dem Europäischen Binnenmarkt. Er ist die Grundlage dafür, wie wir Europäer leben, arbeiten, reisen, Geschäfte machen und studieren. Es ist eine sehr große Errungenschaft, dass wir heute in solch eng vernetzten Volkswirtschaften leben und von offenen Grenzen für Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital profitieren.

Offene Grenzen sind kein Selbstzweck. Sie sind eine politische und wirtschaftliche Notwendigkeit. Darum dürfen wir nicht zulassen, dass protektionistisches Verhalten unseren Binnenmarkt zerstört. Wir müssen unseren Binnenmarkt auch weiterentwickeln und auf andere Kontinente ausweiten. Wir wollen weltweit Standards setzen und zwar unsere hohen Umwelt- und Arbeitsschutzstandards. Wir brauchen Abkommen wie CETA und TTIP.

Die Europäische Union bedeutet Solidarität und davon brauchen wir noch viel mehr, davon kann es nie genug geben.

Solidarität heißt nicht, dass wir in der EU nur riesige Summen an Geldern verteilen. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wir brauchen in den Ländern, die Solidarität für sich reklamieren, mehr Verständnis dafür, dass Solidarität auch in Sachen Flüchtlinge gilt. Wir können nicht damit leben, dass die einen für die Flüchtlinge sorgen und die anderen nicht. Das wird einen großen Keil in die Europäische Union treiben. Deswegen müssen sich hier die „Nehmerländer“ viel mehr bewegen, als sie es bis jetzt tun.

Auf all diese Dinge müssen wir uns wieder zurückbesinnen und diese zu unserem Vorteil nutzen, um Europa wieder stark und zukunftsfähig zu machen. Die Grundvoraussetzungen für ein starkes, geeintes und wirtschaftlich erfolgreiches Europa sind da. Darum müssen wir das, was vor uns liegt, als Chance sehen und nicht als Bürde. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten: „Make Europe great again!“

Inge Gräßle

Zur Person
Dr. Inge Gräßle (55, CDU) ist seit 2004 Mitglied im Europäischen Parlament. Gräßle repräsentiert dabei Teile der Region Heilbronn-Franken: den Landkreis Schwäbisch Hall, den Hohenlohekreis und den Main-Tauber-Kreis. Die studierte Romanistin ist seit 2014 Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses.