Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“ appelliert: „Aufwachen und handeln“

Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“, gehört zu den Speakern beim „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ in Schwäbisch Hall. Aktuell kämpft sie an vielen medialen Fronten für einen entschlossenen politischen Kurswechsel und Reformen. Gelingt der Kurswechsel nicht, dann drohen dem Wirtschaftsstandort Deutschland und auch unserer Region Heilbronn-Franken schwere Zeiten, befürchtet sie im Interview mit dem PROMAGAZIN.

Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“, setzt sich als Lobbyistin mit unternehmerfreundlichen Forderungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland ein. Foto: Anne Grossmann Fotografie

Frau Ostermann, wer Ihr Engagement in den klassischen und sozialen Medien verfolgt, bekommt den Eindruck, dass Sie für die Politik so etwas wie eine Mutter sind, die versucht, ihren pubertierenden Sprössling aus dem Bett an den Schreibtisch zu bekommen, indem sie „aufwachen und lernen“ ruft. Reagiert die Politik wie ein träger Teenager?

Marie-Christine Ostermann: Nein, so fühle ich mich nicht. Dennoch glaube ich, dass wir in Deutschland dringend wieder eine Diskussion darüber brauchen, was die Kernkompetenzen eines Staates sind, und was die Kernkompetenzen eines Unternehmens. Wir Unternehmer erwirtschaften in Deutschland die Wertschöpfung. Dafür brauchen wir aber die passenden Rahmenbedingungen. Diese zu schaffen, ist die Aufgabe des Staates. Ich glaube, das ist bei vielen Politikern aus dem Blick geraten. Sie haben einfach keinen Kompass mehr, wirken orientierungslos und versuchen, alle Probleme mit möglichst viel Umverteilung oder auch Subventionen zuzudecken, ohne dass sie strukturell gelöst sind.

Um welche Rahmenbedingungen sollte sich die Politik vorrangig kümmern?

Ostermann: Der Staat muss die staatliche Infrastruktur zur Verfügung stellen – beispielsweise für ein gutes Bildungssystem, er muss für innere und äußere Sicherheit sorgen und einen Ordnungsrahmen für die Unternehmen schaffen. Doch immer wieder beobachte ich, wie der Staat seine Kernkompetenzen überschreitet und wirtschaftspolitische Vorgaben macht, die das Erwirtschaften seitens der Unternehmen erschwert. Gleichzeitig geht er die strukturellen Standortnachteile in Deutschland nicht an. So spitzt sich die Krise weiter zu. Das gilt für die Region Heilbronn-Franken, für Baden-Württemberg, aber auch deutschlandweit.

Was wäre die Folge?

Ostermann: Dass viele Unternehmen eben nicht mehr hier am Standort investieren, sondern die Investition im Ausland tätigen. Gerade in Baden-Württemberg sind viele international tätige Mittelständler, aber auch Konzerne ansässig – und die würden ihre Industrieproduktion oder generell Investitionen in ihr Geschäft an attraktivere Standorte verlagern.

Wie lässt sich das Ihrer Meinung nach verhindern?

Ostermann: Wir brauchen in Deutschland erstens ein wettbewerbsfähiges Maß an Steuerlasten, wenigstens im europäischen Vergleich. Wir haben aber aktuell Höchstsätze – etwa bei den Unternehmenssteuern. Zweitens: Wir brauchen niedrigere Sozialabgaben, die bezahlbar bleiben – für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Und drittens muss die Politik die überbordende Bürokratie abbauen. Wir brauchen zudem Energiepreise, die international wettbewerbsfähig sind. Viele Unternehmen, gerade im produzierenden Bereich, leiden unter extrem hohen Energiekosten. Und natürlich ist der Arbeitskräftemangel in einer alternden Bevölkerung auch ein Problem. Ausländische Fachkräfte kommen aber nicht zu uns nach Deutschland, wenn diese großen strukturellen Standortnachteile, die ich beschrieben habe, weiterbestehen.

Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein Fehler in der aktuellen Situation?

Ostermann: Es ist wichtig, dass wir zurückkehren zu einem nachhaltigen Wachstum aus eigener Kraft. Nicht erkauft mit schuldenfinanzierten Subventionen, die den Standort weiter belasten und auch strukturell kein Problem lösen. Sondern Wirtschaftswachstum aus eigener Stärke. Der Motor der Unternehmen muss wieder starten, private Investoren müssen wieder Vertrauen schöpfen können. 90 Prozent aller Investitionen in Deutschland werden durch Private getätigt – also muss man die erst mal wieder ankurbeln, bevor man überhaupt  über Schulden nachdenken kann, die der Staat aufnimmt.

Sie propagieren also eine Aufrechterhaltung der Schuldenbremse. Einige Wirtschaftsexperten warnen unterdessen vor einem drohenden Sicherheitsrisiko angesichts der instabilen weltpolitischen Lage, wenn nicht zum Beispiel massiv in Verteidigung investiert wird.

Ostermann: Ja, Verteidigung ist wichtig. Sicherheit ist wichtig. Aber auch solide Staatsfinanzen sind wichtig, etwa für das Rating eines Landes. Aber solide Staatsfinanzen sind auch aus anderen Gründen essenziell: Für die Schulden, die Deutschland schon aufgenommen hat, sind im Bundeshaushalt jährlich fast 40 Milliarden reserviert für Zinszahlungen. Das Geld ist gebunden und kann nicht investiert werden. Gleichzeitig nimmt der Staat fast eine Billion an Steuern ein. Geld ist also genug da. Den Politikern ist die Schuldenbremse nur lästig, weil sie dadurch gezwungen werden zu priorisieren. Darüber hinaus verwenden sie die Rekordsteuereinnahmen hauptsächlich konsumptiv und beklagen sich dann über zu wenig Investitionen.

Diese Nachfragepolitik sorgte aber über einen langen Zeitraum für Ruhe und Zufriedenheit, oder?

Ostermann: Wir hatten jetzt 20 Jahre lang fast reine Nachfragepolitik. Die war populär, um Wählerstimmen zu gewinnen. Weil es attraktiver ist, das Geld in den Konsum zu stecken, es umzuverteilen, die sozialen Sicherungssysteme auszubauen. Plötzlich schreien alle auf: „Ja, aber wir investieren viel zu wenig!“. Grund ist aber nicht die Schuldenbremse, sondern die Vorliebe von Politikern, lieber das Geld in den Konsum umzuverteilen. Die Schuldenbremse würde den Politikern andere Prioritäten aufzwingen.

Andererseits haben Wirtschaftsexperten ausgerechnet, dass selbst, wenn das Bürgergeld abgeschafft und mit spitzem Stift gerechnet würde, die Einsparungen nicht reichen, um die nötigen Ausgaben zu stemmen.

Ostermann: Ja. Aber es gibt noch viele andere Punkte mit Sparpotenzial.

Also bleibt eine Lücke.

Ostermann: Nicht unbedingt. Aber um es noch einmal zu sagen: Der Staat verfügt über fast eine Billion Euro an Steuereinnahmen. Da über ein Aussetzen der Schuldenbremse und mehr Schulden nachzudenken, ist absurd. Die strukturellen Standortnachteile müssen beseitigt werden. Und wenn wir wieder entsprechende wirtschaftliche Kraft haben, kann man auch im Rahmen der Schuldenbremse, so, wie sie jetzt in der Verfassung steht, weitere Schulden aufnehmen – zum Beispiel für die Bundeswehr, die Ukraine oder im Bereich Nachhaltigkeit. Zusätzliche Schulden bedeuten aktuell aber nur eine Verteuerung des Standortes Deutschland und signalisieren Unternehmern weitere Steuererhöhungen. Und dann investiert erst recht keiner mehr hier.

Diese Tendenz gibt es doch schon jetzt: Bei einer Umfrage Ihres Verbandes haben knapp die Hälfte der Mitgliedsunternehmen angegeben, derzeit nicht in Deutschland zu investieren.

Ostermann: Ja, absolut. Grund eins für diese Investitionszurückhaltung ist die horrende Bürokratie, und Grund zwei ist die Unberechenbarkeit der Wirtschaftspolitik. Aber wir Unternehmer sind grundsätzlich optimistisch. Wir glauben an eine gute Zukunft und engagieren uns. Deswegen haben wir uns ja auch als Verband „Die Familienunternehmer“ organisiert. Seit 75 Jahren mischt der Verband mit. Im vergangenen Jahr haben wir unser Jubiläum unter dem Motto „Mit Zuversicht nach vorn“ gefeiert.

Wirtschaftsstandort Deutschland Ostermann
Bessere finanzielle Bildung – das fordert Marie-Christine Ostermann im Interview. Das kommt auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland zugute. Foto: Anne Grossmann Fotografie

Diese Tendenz gibt es doch schon jetzt: Bei einer Umfrage Ihres Verbandes haben knapp die Hälfte der Mitgliedsunternehmen angegeben, derzeit nicht in Deutschland zu investieren.

Ostermann: Ja, absolut. Grund eins für diese Investitionszurückhaltung ist die horrende Bürokratie, und Grund zwei ist die Unberechenbarkeit der Wirtschaftspolitik. Aber wir Unternehmer sind grundsätzlich optimistisch. Wir glauben an eine gute Zukunft und engagieren uns. Deswegen haben wir uns ja auch als Verband „Die Familienunternehmer“ organisiert. Seit 75 Jahren mischt der Verband mit. Im vergangenen Jahr haben wir unser Jubiläum unter dem Motto „Mit Zuversicht nach vorn“ gefeiert.

Auch beim „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ ist ja das Motto: „Deutschland braucht Zuversicht.“ Wenn man die Verbandsumfrage zugrunde legt, dürften – rein statistisch – allerdings viele Unternehmer im Publikum sitzen, die zurückhaltend denken.

Ostermann: Ja, jeden Tag werden Investitionsentscheidungen gegen Deutschland und für das Ausland getroffen. Natürlich braucht es da entsprechende Maßnahmen, damit wir Familienunternehmer auch weiter zuversichtlich bleiben können. Unsere Hoffnung ist, dass es nach den Neuwahlen einen Kurswechsel gibt. Wir werben für eine ganz klare Wirtschaftspolitik im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft – und weg von Dirigismus, Mikromanagement, Umverteilung und Schulden.

Was würde Unternehmern denn Mut machen?

Ostermann: Die Ideen der vielen einzelnen Menschen in unseren Unternehmen machen mir Mut. Wir, der Mittelstand, die Familienunternehmen in Deutschland, stellen 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und 80 Prozent aller Ausbildungsplätze. Ich habe in meinem Unternehmen die Anzahl der Ausbildungsplätze in der Pandemie verdoppelt. Damals war der Markt leergefegt und wir litten unter Personalmangel. Diese Entscheidung hat sich gelohnt, ich bin unglaublich glücklich, auch mit unseren Nachwuchskräften. Die meisten Führungspositionen haben wir mit ehemaligen Auszubildenden besetzt. Und so gibt es überall Menschen, die gute Ideen haben, motiviert sind und wirklich etwas bewegen wollen. Nicht nur die Jungen, auch die Älteren. Das gibt mir jeden Tag Hoffnung. Dafür ist es natürlich wichtig, dass unsere Bildungssysteme reformiert werden und die Menschen zum Beispiel noch stärker auf das Berufsleben vorbereitet werden.

Die Zahlen belegen, dass Familienunternehmen und Mittelstand das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden. Glauben Sie, dass diese Gruppe zu wenig Wertschätzung in Deutschland erfährt?

Ostermann: Zumindest kommt es einem in den bundesweiten öffentlichen Debatten so vor.

Was müsste passieren, damit sich der Mittelstand und insbesondere auch Familienunternehmen positiver wahrgenommen fühlen?

Ostermann: Wichtig wäre ein besseres Wirtschaftsverständnis in der Gesellschaft und in der Politik. In der öffentlichen Wahrnehmung kommt zum Beispiel der Faktor Risiko überhaupt nicht zum Tragen. Im Wahlkampf fordern Sozialdemokraten und Grüne, die Steuereinnahmen zu erhöhen. Sie wollen Vermögen stärker besteuern und eine höhere Erbschaftsteuer. Es wird oft behauptet, wenn jemand ein Unternehmen erbt, sei das komplett leistungsfrei. Das finde ich falsch und empörend. Denn dabei wird das Risiko und die Verantwortung ausgeblendet. Niemand würde ein Familienunternehmen übernehmen, wenn sie oder er die Fähigkeiten dazu nicht hätte – sonst fährt sein Unternehmen an die Wand. Dann verlieren Menschen ihre Arbeitsplätze.

Dieses Ausblenden des unternehmerischen Risikos – ist das ein Zeichen von Neidkultur? In Amerika wird Gründern anerkennend auf die Schulter geklopft.

Ostermann: Ja. Ein Grund für diese Neidkultur in Deutschland ist meiner Meinung nach unser undurchlässiges Bildungssystem. Es ist schwer, aus dem  sozialen Rahmen, aus dem man kommt, auszubrechen, weil Persönlichkeitsentwicklung und Kenntnisse über fast sämtliche relevante Grundlagen für Wirtschafts- und Finanzwissen im Unterricht gar nicht vermittelt werden. Unternehmertum wird in Schulbüchern oft negativ dargestellt, der Staat hingegen oft als der große Problemlöser, der Sicherheit gibt.

Wie ließe sich das Narrativ korrigieren?

Ostermann: Unternehmer sollten sichtbarer werden, in Talkshows, in öffentliche Debatten. Viele engagieren sich ehrenamtlich in ihrer Stadt vor Ort engagieren oder gründen Initiativen, wie ich es getan habe. Ich habe Startup Teens gegründet – ein Non-Profit-Unternehmen, das über eine digitale Plattform unabhängig von Wohnort, Schulform oder Elternhaus allen Jugendlichen kostenlos unternehmerisches Denken und Handeln vermittelt. Bereits über 1000 Mentoren bieten dort kostenlos Unterstützung an, etwa bei Fragen wie: Wie baue ich eine Webseite? Wie finde ich ein Team, mit dem ich eine Idee umsetzen kann? Wie komme ich an eine Finanzierung?

Wissen ist also Macht – aber beim Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge sind Unternehmerkinder wohl doch im Vorteil.

Ostermann: Vielleicht. Aber gerade weil viele aus anderen Elternhäusern kommen, wo kein Wissen bezüglich Wirtschaft vorhanden ist, sollten Kinder in der Schule erste Grundlagen lernen – etwa, wie ein Aktienmarkt funktioniert. Es wäre auch wichtig, dass Eltern Geld zur Seite legen können, um Kindern zu ermöglichen, in einem ganz kleinen Rahmen eine Aktie oder einen Fond zu kaufen. Aber dafür brauchen sie mehr Netto vom Brutto. Es bedarf an so vielen Ecken und Enden großer Verbesserungen.

Doch es gibt auch viele positive Beispiele. Gerade bei uns gibt es viele große und auch kleinere Unternehmen, die die Region sehr fördern. Sehen Sie in so einem Engagement auch einen Hoffnungsschimmer, regional, aber auch vielleicht deutschlandweit?

Ostermann: Auf jeden Fall, denn man würde sich nicht für all diese Dinge engagieren, wenn man nicht an eine bessere Zukunft glaubt. Und das tun wir Unternehmer.

Zurück zur Eingangsfrage: Sind sie zuversichtlich, dass Deutschland in zehn bis 15 Jahren aus dem Bett gekommen ist und die Hausaufgaben gemacht hat?

Ostermann: Ich bleibe optimistisch. Aber wenn der Kurswechsel nicht gelingt, werden vielleicht extreme Parteien die Regierung in vier Jahren übernehmen. Das muss verhindert werden. Wie das geht? Ich glaube daran, dass die Probleme im Land angepackt und gelöst werden können. Wer Probleme anpackt und löst, wird beliebter. Wer die Dinge laufen lässt und vielleicht sogar schönzureden versucht, verliert Vertrauen. Das lernen die Politiker wieder neu. Und deshalb glaube ich daran, dass wir in Deutschland eine gute Zukunft haben werden.


Zur Person

Die gelernte Bankkauffrau und studierte Diplom-Kauffrau Marie-Christine Ostermann ist seit 2023 Präsidentin des Verbandes „Die Familienunternehmer“. 2006 stieg sie als geschäftsführende Gesellschafterin bei dem von ihrem Urgroßvater 1923 gegründeten Lebensmittelgroßhandel Rullko Großeinkauf GmbH & Co. KG ein und leitet seitdem das Familienunternehmen, bis 2017 gemeinsam mit ihrem Vater.


Interview von Natalie Kotowski