Schlummernde Potenziale

Elisabeth Giesen; Arbeitsagentur; Ausbildung
Elisabeth Giesen: Die AA berät Firmen auch in Sachen Ausbildungsplätze. Foto: Agentur für Arbeit Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim

Es gibt zahlreiche Stellschrauben, um dem Fachkräftemangel in der Region entgegenzuwirken. Elisabeth Giesen gibt Auskunft, wie die Agentur für Arbeit Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim
Unternehmen unterstützt – und was Firmen ihrerseits tun sollten.

Wie kann die Agentur für Arbeit (AA) Unternehmen der Region bei der Rekrutierung geeigneter Fachkräfte unterstützen?

Elisabeth Giesen: Auf diese Frage gibt es keine kurze Antwort. Wir möchten keinen Jugendlichen verlieren und haben deshalb individuelle Unterstützungsmöglichkeiten für junge Menschen. Mit der Spätstarter-Kampagne sprechen wir Ungelernte an. Wir unterstützen die berufliche Qualifizierung von Arbeitslosen und Beschäftigten. Mit der Dienstleistung „Berufsberatung im Erwerbsleben“ helfen wir Arbeitnehmenden, mit den aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt Schritt zu halten. Für die sogenannte „stille Reserve“ bieten wir viele Veranstaltungen zur Vorbereitung auf den Wiedereinstieg. Mit der Jobbörse „Arbeit und Rente“ bieten wir unter Federführung der WFG Schwäbisch Hall eine Plattform, auf der Unternehmen Rentnerinnen und Rentner mit gutem Fachwissen finden können. Wir beraten zur Fachkräfteeinwanderung und unterstützen die Initiative des Kultusministeriums Baden-Württemberg „Direkteinstieg Kita“.

Liegt in der „stillen Reserve“ – also Menschen, die nicht aktiv nach Arbeit suchen, sich aber Arbeit wünschen – tatsächlich noch hohes Potenzial?

Giesen: Unsere Angebote zum beruflichen Wiedereinstieg für genau diesen Personenkreis sind stets sehr gut besucht. Oft sind es sehr gut ausgebildete Frauen, die bei der Organisation des Familienalltags ihre sozialen Kompetenzen trainiert und perfektioniert haben. Also ja, da schlummert ein Potenzial, das der Arbeitsmarkt dringend braucht.

Sehen Sie auch Arbeitnehmern mit Behinderung die Chance, diese verstärkt (wieder) in den Arbeitsmarkt zu bringen?

Giesen: Nur 39 Prozent der Arbeitgeber erfüllen die Beschäftigungspflicht. Es gibt zu viele Vorurteile und Vorbehalte, die in der Regel unbegründet sind. Da die Not der Unternehmen, Arbeits- und Fachkräfte zu finden, so groß ist, gehe ich davon aus, dass sich die Chancen für die über 1200 Arbeitslosen mit Schwerbehinderung verbessern.

Welche Strategie verfolgt die AA, um ausländische Fachkräfte in die Region zu holen?

Giesen: Wir unterstützen Unternehmen bei der Anwerbung von Mitarbeitenden aus dem Ausland und beraten Arbeits- und Fachkräfte, die zuwandern wollen. Dabei arbeiten wir mit der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung Bundesagentur für Arbeit (ZAV) sowie der Regionalen Koordinationsstelle Fachkräfteeinwanderung Heilbronn-Franken (RKF) zusammen. Was Deutschland braucht sind einfache, schnelle und unbürokratische Verfahren.

Können auch Geflüchtete zur Linderung des Fachkräftemangels beitragen?

Giesen: Viele Geflüchtete bringen ein abgeschlossenes Studium aus dem Heimatland mit. Bevor sie hier als Fachkräfte arbeiten können gilt es, ein paar Hürden zu überwinden. Deutsch lernen, Kinderbetreuung finden, Anerkennung des ausländischen Berufsabschlusses. Wir wünschen uns mehr Deutschkurse, Kita-Plätze und einige Anerkennungsverfahren sind viel zu kompliziert. Gleichzeitig sehen wir, dass die Beschäftigung der Geflüchteten überdurchschnittlich steigt, damit ist diese Personengruppe ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg zur Steigerung des Erwerbspersonenpotentials. Dazu kommen Kinder und Jugendliche, die durch den Schulbesuch schnell Deutsch lernen und nach der Schule in Ausbildung oder Studium münden.

Welche Unterstützung bietet die AA Langzeitarbeitslosen – und was können Unternehmen für deren Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt tun?

Giesen: Die meisten Langzeitarbeitslosen sind in den Jobcentern gemeldet. Viele haben ein oder mehrere Vermittlungshemmnisse. Sie brauchen eine intensive und ganzeinheitliche Betreuung. Manchmal ist es notwendig, vor der Vermittlung in Arbeit andere Baustellen abzuarbeiten. Bei Wiedereinstiegskursen spielen Praktika eine große Rolle. Damit machen wir gute Erfahrungen. Also geht mein Appell an die Unternehmen: Bieten Sie Praktika an.

In der Region sind noch viele Ausbildungsplätze unbesetzt. Wie kann die AA die Unternehmen beim Recruiting unterstützen?

Giesen: Der Ausbildungsmarkt ist ein Bewerbermarkt. Die guten Chancen und vielfältigen Möglichkeiten machen eine Berufswahlentscheidung für Jugendliche nicht einfacher. Hier tritt die Berufsberatung auf den Plan und unterstützt bei der Entscheidungsfindung. Wir treffen mit unseren Vermittlungsvorschlägen eine Vorauswahl für die Unternehmen entsprechend ihren Anforderungen. Gibt es keine passenden Ausbildungsinteressenten beraten wir zu Alternativen. So greift beispielsweise unser Angebot der Assistierten Ausbildung bei schulischen Defiziten. Wir geben Tipps, welche Plattformen sich für welche Zielgruppe eignen und bieten mit der Last-Minute-Börse „RUN“ Unternehmen die Möglichkeit, Ausbildungssuchende zu treffen. Neben dem Blick auf Jugendliche aus den Schulen empfehlen wir auch die Ausbildung von Mitarbeitenden, die noch ohne beruflichen Abschluss sind, ins Auge zu fassen.

Wo sehen Sie unter allen Maßnahmen die effektivsten Stellschrauben, um dem Mangel an Fachkräften entgegenzuwirken?

Giesen: Es muss uns gelingen, die Erwerbsbeteiligung der Generation 60+, die Erwerbsquote und Arbeitszeit der Frauen sowie die Weiterbildung von geringqualifizierten Beschäftigten zu steigern.

Welche Maßnahmen können Firmen ergreifen, um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften decken zu können?

Giesen: Für eine vorausschauende Personalpolitik muss ich als Arbeitgeber im Blick haben, wer wann in Rente geht und welche Qualifizierungsbedarfe auf mein Unternehmen zukommen. Berufliche Ausbildung, Weiterbildung von Beschäftigten, altersgerechte Arbeitsbedingungen, Angebote für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und eine Willkommenskultur sollten selbstverständlich sein. Außerdem empfehle ich bei den Anforderungen geduldig zu sein, das gilt insbesondere für motivierte Bewerberinnen und Bewerber. Instrumente wie die Maßnahme am Arbeitsplatz (MAG) unterstützen den Einstieg in den Betrieb. Mit einer guten Einarbeitung kann auch eine vermeintlich nicht so gute Arbeitskraft zur Perle werden.

Interview: Eckart Baier

Zur Person

Elisabeth Giesen ist Vorsitzende der Geschäftsführung bei der Agentur für Arbeit Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim.