Startup: Taxidienst per Rakete ins Weltall

Christian Schmierer ist in Talheim aufgewachsen. Die Nähe zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat ihn früh geprägt. Im Mai 2018 hat er gemeinsam mit Mario Kobald und zwei weiteren Raumfahrtingenieuren das Startup „HyImpulse“ in Neuenstadt am Kocher gegründet – praktischerweise sitzt das Unternehmen neben einem DLR-Raketenprüfstand in Lampoldshausen, nordöstlich von Heilbronn. Foto: HyImpulse

Christian Schmierer identifiziert den nahen Erdorbit als Industriegebiet der Zukunft. Im Interview erzählt er, wie sein Startup „HyImpulse“ schon bald zum Express-Logistikunternehmen in den Weltraum werden soll, warum die deutsche Space Economy aufholen muss und die Region Heilbronn-Franken das Potenzial zum Space-Cluster hat.

Kleine Raketen kommen derzeit groß raus. Ist das die Revolution in der Space Economy?

Christian Schmierer: Ja, das ist schon richtig. Die Space Economy ist ein Multimilliardenmarkt. Einige Analysten gehen davon aus, dass New Space das neue Internet wird und innerhalb der nächsten Jahre und sogar Jahrzehnte genauso viele Änderungen bringt, wie es einst das Internet vor 20, 30 Jahren tat. Dabei geht der Trend weg von wenigen großen zu vielen kleinen Satelliten. Die amerikanische Konkurrenz ist da allerdings schon weiter. Die eigentliche Revolution findet dann aber im All statt, mit den ganzen Satelliten, die dort hochgebracht werden.

Was heißt das genau?

Schmierer: Naja, im Grunde sind es drei wichtige Punkte, die das Leben revolutionieren können: zum einen die Erforschung der Erde und des Weltraums und zweitens alles, was mit Erdbeobachtung zu tun hat. Schon heute kommen 80 bis 90 Prozent dieser Informationen aus dem Weltall. Wenn man das noch ausweitet, könnte man künftig auch Katastrophen wie die von Braunsbach vor fünf Jahren, mit dem sturzflutartigen Bach, frühzeitig erkennen. Der dritte große Bereich ist Kommunikation und Internet: Heute schon nutzt jeder eigentlich Daten aus dem All via Handy, GPS oder Nachrichten. Autonomes Fahren, Digitalisierung, das ist alles mit dem All verbunden – in dem Bereich werden schon viele Aufgaben gemacht und viel erwirtschaftet, und das steigt. Auch Satelliteninternet gibt es beispielsweise schon. Noch ist das ein Luxusprodukt, das aber schon bald günstiger sein könnte als Landkabel zu verlegen. Dann brauchen wir nicht mehr über Glasfaserausbau sprechen. Der nahe Erdorbit könnte das Industriegebiet des 21. oder 22. Jahrhunderts werden. Darauf bewegen wir uns heute zu.

Und da setzen Sie mit Ihrem Start-up an?

Schmierer: Genau. Unsere Dienstleistung ist ja notwendig, damit die Satelliten auch ins All kommen. Wir sind dann das Taxi anstatt der Bus, das die Satelliten zielgerichtet an diesem Tag an diese Stelle bringt. In der Wertschöpfungskette sind wir der wichtigste und schwierigste Teil, weil die Raketentechnologie auch gleichzeitig die Ingenieursleistung ans Limit treibt: Sie muss möglichst leicht sein, möglichst günstig und die höchst mögliche Performance bieten. Letztlich profitieren davon Firmen, die Satelliten starten, und deren Kunden. Wir haben mit unserer Hybridtriebwerkstechnologie ein neues Konzept und sehen uns als Pioniere für eine neue Antriebsart.

Damit haben Sie ja bereits Schlagzeilen gemacht: Sie gehören zu den drei Firmen, die für den Mikrolauncher-Wettbewerb der ESA (European Space Agency) zugelassen wurden.

Schmierer: Allein dadurch, dass wir mit Kerzenwachs Raketen bauen, beeindrucken wir viele Leute – gerade in der Forschungswelt haben wir einige der meistgelesenen Papers in den letzten Jahren veröffentlicht. Der Wettbewerb der Europäischen Raumfahrtagentur ESA und des DLR (Deutsches Zentrum für Luftraumfahrt) fördert mit insgesamt 25 Millionen Euro deutsche Start-ups, die Startdienstleistungen ins All kommerziell entwickeln und anbieten wollen; wir sind mit unserer Hybridrakete einer von drei Anwärtern. Neben flüssigem Sauerstoff als Oxidator verwenden wir Paraffin oder, simpel ausgedrückt, Kerzenwachs statt Kerosin. Unseren Brennstoff schmelzen wir selbst, das ist extrem günstig, viel billiger als Kerosin. Darauf basiert unser Businesscase. Kerzenwachs kann zudem nicht explodieren. Was für den Startplatz wichtig ist, aber auch für die Tests und überhaupt die gesamte Entwicklung.

Wie viel Gewicht können Sie laden?

Schmierer: Bis zu 500 Kilo – wenn sie nicht so hochfliegen sollen, auch bis zu 700 Kilo. Das ist die Größenordnung. Raketen wie die Ariane können ja bis zu 20 Tonnen in den Erdorbit bringen. Das ist ein deutlicher Unterschied. Dadurch sind wir viel flexibler.

Wie wollen Sie Ihr Projekt denn konkret kommerzialisieren?

Schmierer: Im Grunde streben wir an, eine Art Express-Logistikunternehmen in den Weltraum zu werden. Wir planen ambitioniert, das wissen wir auch: Bis Ende des Jahres wollen wir unsere Höhenforschungsrakete starten, um dann mit dem Wissen in den nächsten zwei Jahren die orbitale Rakete, die ins All fliegt, zu entwickeln, so dass wir hoffentlich Mitte 2023 starten können. Momentan sind wir 60 Mitarbeiter, bis Jahresende müssen wir auf rund 100 anwachsen, im weiteren Verlauf werden wir uns auf 200 Mitarbeiter erweitern. Wäre die Pandemie nicht, wären wir jetzt schon in Schottland für unseren nächsten Raketentriebwerktests. Unser Ziel ist, bis Ende des Jahrzehnts 30- bis 50-mal pro Jahr zu starten. Mit uns entsteht eine Firma, die hoffentlich noch bekannter wird als das DLR. Wir würden uns freuen, wenn die gesamte Region in das New-Space-Zeitalter aufbricht und Satellitenfirmen entstehen.

Hat Heilbronn-Franken denn das Potenzial für eine Art Space-Hub?

Schmierer: Klar, mit dem DLR in Lampoldshausen haben wir eine weltweit bekannte Institution in der chemischen Raketenantriebsforschung und dem Testen solcher Triebwerke. Zudem gibt es hier alles, was man dazu bräuchte: Elektronik, Leichtbau, optische und andere Sensorik. In Baden-Württemberg sind die meisten Raumfahrtmitarbeiter Deutschlands in verschiedenen Firmen beschäftigt. Ich denke, dass sich einige Player in der Region öffnen würden. Söder hatte in München ja sein „Bavaria One“ vorgeschlagen, was zunächst belächelt wurde. Jetzt gibt es in Bayern aber ein Weltraumindustrienetzwerk. Das könnten wir in Baden-Württemberg auch, wir haben die gleichen Voraussetzungen.

Wo könnte man da ansetzen?

Schmierer: Es braucht mehr Unternehmergeist, mehr Risikofreude bei den Investoren, aber auch bei den Staaten an sich – wenn man das jetzt nicht allein in Deutschland, sondern im Rahmen der EU machen würde –, die die Investoren ein bisschen anstoßen müssten. SpaceX wäre nie so groß geworden, wenn nicht der Staat in Form der NASA und dem Militär als Ankerkunde bereitgestanden wäre.

Braucht es das auch hier?

Schmierer: Sicher. Die Bundesregierung sollte dafür sorgen, dass die ESA und die EU die richtigen Schritte einleiten – der Mikrolauncher Wettbewerb ist zwar von der ESA, aber auf Betreiben von Deutschland stark abgeändert worden, was wir sehr begrüßen. Wir würden uns freuen, wenn wir in Zukunft Satelliten von der ESA und der EU starten können. Das wäre etwas, das die Investoren motivieren würde.

Wäre, würde – Sie sprechen da im Konjunktiv?

Schmierer: Ja, leider. Es gibt Ideen, aber keine direkten Ansätze. Ein weiteres Hauptproblem ist, den deutschen Startups eine günstige Möglichkeit zum Testen zu geben. „HyImpulse“ ist eine Ausgründung des DLR, trotzdem müssen wir aufgrund bürokratischer Hürden zunächst nach Schottland ausweichen. Obwohl wir für zigtausend Euro Equipment und Personal dorthin bringen müssen, ist es dort immer noch günstiger und schneller als hier. Zudem wäre eine lokale Testmöglichkeit wichtig, um, wie ich schon gesagt habe, das richtige Signal an Investoren zu senden. Wir sehen ja die Börsengänge bei unseren Wettbewerbern in den USA, wie Astra oder Rocketlab, die bis zu 500 Millionen Dollar einkassieren – im Vergleich ist man hier noch zurückhaltend. Wenn ESA und DLR da mitarbeiten, hilft das, um Investoren zu überzeugen. Da ist das Geld in Form von Zuwendungen sogar zweitrangig.

Interview: Melanie Boujenoui