Tempo machen bei der Digitalisierung – Volker Wissing im Interview

„Wir wollen bei KI-Technologien künftig international ganz vorne mitspielen“, so Wissing. Foto: Bundesregierung/Jesco Denzel

Verwaltung, Künstliche Intelligenz, Open Data: Bei der Digitalisierung hat Deutschland großen Nachholbedarf, entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Regierung. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, verspricht im Interview, Tempo zu machen.

In der Europäischen Union belegt Deutschland in Sachen Digitalisierung den 13. Platz unter 27 Ländern. Warum geht der Ausbau so schleppend voran?

Volker Wissing: Mit diesem Ergebnis kann ein Industrieland wie Deutschland nicht zufrieden sein. Deshalb wollen wir das schnell ändern und haben eine Digitalstrategie auf den Weg gebracht. Unser Ziel ist, bis 2025 in die Top Ten Europas zu kommen. Allerdings ist nicht alles so schlecht, wie es dargestellt wird. Bei den digitalen Infra­strukturen landen wir laut DESI-Bericht auf Platz vier. Mit einer LTE-Abdeckung von über 97 Prozent und beim Ausbau von 5G kann Deutschland inzwischen international mithalten. Mit unserer Gigabitstrategie arbeiten wir an einer flächendeckenden Versorgung mit Glasfaser. Aber klar ist: Digitalisierung bleibt bei uns ein Querschnittsthema, das von mehreren Ministerien bearbeitet wird und bei dem auch die Länder erhebliche Bedeutung haben.

In welchen Bereichen muss ganz besonders Tempo gemacht werden?

Wissing: Wir identifizieren in der Digitalstrategie drei Zukunftsthemen, von denen wir uns einen Hebeleffekt versprechen, wo wir also sehr effizient viel bewirken können. Das ist die Verfügbarkeit von Daten, die wir steigern wollen und mit denen man Geschäftsmodelle der Zukunft umsetzen kann. Das sind staatliche digitale Identitäten, mit denen sich die Bürger für viele Dienstleistungen und bei der Verwaltung online identifizieren können. Und das ist das Thema Standardisierung, die wir international voranbringen wollen, um global anschlussfähig zu sein. Unterlegt haben wir das mit Zielen wie der Einführung einer digitalen Patientenakte, dem Aufbau eines Ökosystems für Mobilitätsdaten oder der elektronischen Identität auf dem Smartphone. Daran werden wir uns am Ende der Legislaturperiode 2025 messen lassen.

Daten sind der Treibstoff der digitalen Transformation, auch für die Region Heilbronn-Franken. Was unternehmen Sie, um das Thema Datenökonomie samt gesetzlichem Rahmen rasch voranzubringen?

Wissing: Ich möchte, dass Innovationen wie ChatGPT auch aus Deutschland und Europa kommen, nicht nur aus den USA und China. Wir brauchen dafür ein Umfeld, in dem sich Kreativität und Schaffenskraft ohne Verbote möglichst frei entfalten können, in dem Daten verfügbar und zugänglich sind und in dem es einen klaren Wertekompass und Transparenz gibt. Deshalb setzen wir auf Open Data, Sharing Communities und Datenräume wie unseren Mobility Data Space. Im Verkehrsbereich können wir mit intelligent verknüpften Daten Verkehrsangebote auf die Bedürfnisse individuell zuschneiden und neue klimafreundliche Mobilitätslösungen wie autonome Shuttles entwickeln. Deshalb ist es so wichtig, dass es eine gemeinsame rechtliche Grundlage für das Teilen von Daten in Europa gibt, die Anreize schafft. Dafür setzen wir uns bei den Verhandlungen zum Data Act ein.

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Foto: ipai/mvrdv

Inwieweit bremst der Datenschutz die Digitalisierung in Deutschland?

Wissing: Ein wirksamer Schutz der persönlichen Daten und der Privatsphäre ist Grundlage für das Funktionieren unserer Demokratie und Voraussetzung für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Wir haben mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung ein funktionierendes Regelwerk für Deutschland und Europa. Dazu kommen die Regeln für die Vertraulichkeit privater Kommunikation. Diese Regeln dürfen wir nicht aufweichen. Gleichzeitig dürfen die Regeln nicht so kompliziert und kleinteilig werden, dass sie Innovationen behindern. Unternehmen brauchen Rechtssicherheit.

Beim Datenschutz sprechen auch die Bundesländer ein Wörtchen mit …

Wissing: Ja, im Unterschied zu Staaten mit einer zentralen Behörde, gibt es in Deutschland 17 unabhängige Datenschutzaufsichtsbehörden, die über die Einhaltung der Regeln durch die Wirtschaft wachen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir die Zuständigkeiten beim Datenschutz vereinfachen wollen. Dazu werden wir die Rolle der Konferenz der Datenschutzaufsichtsbehörden von Bund und Ländern als übergeordnete Stelle stärken.

Brauchen wir eine andere, offene „Datenkultur“ in Deutschland?

Wissing: Gemeinsam mit Bundeswirtschafts- und Bundesinnenministerium arbeiten wir an einer neuen Datenstrategie, die eine offene, proaktive Datenkultur in unserem Land unterstützt. Unser Ziel: Mehr Open Data, mehr Anreize zum Daten Teilen, solider Datenschutz und einheitliche Auslegung von Vorschriften.

Volker Wissing sprach beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer über das Thema Digitalisierung. Foto: Dirk Täuber

Künstliche Intelligenz ist für Unternehmen ein wichtiger Baustein der Digitalisierung. Braucht es in diesem Bereich einheitliche Regeln und Standards?

Wissing: KI ist die Schlüsseltechnologie für die digitale Transformation, für Innovationen und Fortschritt. Wir wollen bei KI-Technologien künftig international ganz vorne mitspielen, wenn es darum geht, sichere, vertrauenswürdige und innovative KI-Produkte zu entwickeln. Deshalb soll Europa zu einem globalen Zentrum für vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz werden. Mit einheitlichen Regeln für Transparenz und gemeinsamen Qualitäts- und Prüfstandards können wir das Vertrauen in KI-Anwendungen stärken und gute Rahmenbedingungen für Unternehmen schaffen.

Unterstützen Sie den europäischen Ansatz für Künstliche Intelligenz?

Wissing: Ja, die Initiative der EU-Kommission für einen AI Act unterstützen wir. Unsere Position ist klar: Wir brauchen eine Regulierung, die ermöglicht und nicht behindert, die Raum für Innovationen lässt und nicht einschränkt. Wir wollen anwenden und nicht zurückdrängen. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass eine überbordende Regulierung, die KI-Lösungen verhindern will, in Europa keine Mehrheit findet. Wer Risiken von KI so ausschließen will, erreicht nur Wettbewerbsnachteile und vergibt Gestaltungschancen.

Die schleppende Digitalisierung ist für viele Firmen ein Ärgernis, etwa beim Warenverkehr innerhalb der EU. Wann ist Schluss mit dem Papierkrieg bei grenzüberschreitenden LKW-Fahrten?

Wissing: Wir wollen, dass Unternehmen ihre Lieferverträge voll digital abwickeln und grenzüberschreitend elektronische Frachtbriefe verwenden können. Die Rechtsgrundlagen dafür existieren. Was im Moment leider noch fehlt, sind Softwarelösungen, mit denen Unternehmen diese Möglichkeiten nutzen können. Wir wollen den Entwicklern solcher Lösungen mehr Sicherheit geben. Deshalb arbeitet die Bundesregierung daran, konkreter zu beschreiben, welche Anforderungen Produkte erfüllen müssen, um rechtskonforme Frachtbriefe zu erzeugen.

Bis wann wird dies konkret umgesetzt?

Wissing: Wir fördern hier ein Forschungsprojekt am Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund. Eine erste digitale Referenzimplementierung steht als Open Source zur Verfügung und ist in Pilotprojekten im Einsatz. Einheitliche Vorgaben für die digitale Kontrolle von Frachtbeförderungsinformationen werden gerade von der Kommission mit den europäischen Mitgliedsstaaten abgestimmt. 2025 wollen wir dann mit einem europäisch-kompatiblen System starten.

Mit der Digitalisierung rückt auch das Thema IT-Sicherheit in den Fokus. Was unternimmt die Bundesregierung, um Unternehmen zu unterstützen?

Wissing: Die Regierung nimmt die Themen Wirtschaftskriminalität und Cyberspionage sehr ernst und bietet konkrete Unterstützung.  Das BSI ist im direkten Austausch mit der Wirtschaft und das Bundeswirtschaftsministerium bietet Hilfestellungen und Förderprogramme für kleine und mittlere Unternehmen, Handwerk und Startups zur Verbesserung ihrer IT-Sicherheit, etwa mit der Initiative „Digital Jetzt“.


KI-Hotspot in Europa

Heilbronn-Franken möchte in der Weltliga der Künstlichen Intelligenz (KI) vorne mitspielen. Mit dem Ipai, dem Innovation Park Artificial Intelligence in Heilbronn, entsteht ein 23 Hektar großes Zentrum für KI mit internationaler Bedeutung. Der Planungsentwurf des niederländischen Architekturbüros MVRDV hat sich dabei im Ideen- und Realisierungswettbewerb durchgesetzt. Der Entwurf setzt auf eine kompakte städtebauliche Grundstruktur und schafft neben einem hohen Widererkennungswert auch Freiräume und Offenheit. Der Baustart soll 2024 erfolgen, erste Gebäude sollen ab 2026 fertig sein.


Interview: Eckart Baier

Zur Person

Dr. Volker Wissing hat Jura studiert. Er war stellvertretender Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und 2020/21 Generalsekretär der FDP. Heute ist er Bundesminister für Digitales und Verkehr im Kabinett Scholz und Mitglied des Deutschen Bundestags.