Wechselbereitschaft auf Rekordniveau

Jeder Vierte Angestellte in Deutschland ist laut einer Studie von EY aktiv auf der Suche nach einem neuen Job oder zumindest wechselwillig, falls sich etwas Passendes ergibt. Foto: Adobe Stock/Bro Vector

Jeder Vierte sucht nach einem neuen Arbeitgeber. Vor allem unter jungen Angestellten ist laut einer aktuellen Studie die Wechselbereitschaft hoch.

Beschäftigte in Deutschland sind auf dem Sprung, die Wechselbereitschaft unter Arbeitnehmern ist laut einer aktuellen Studie von EY so hoch wie noch nie. Demnach sucht derzeit mehr als jeder Vierte (26 Prozent) aktiv oder gelegentlich nach einer neuen Stelle. 37 Prozent geben an, interessiert zu sein, wenn sich etwas Passendes ergebe. Nur etwas mehr als jeder Dritte Befragte (37 Prozent) gibt an, sich nicht mit einem neuen Job zu beschäftigen. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren war es noch mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Angestellten, 2017 sogar mehr als vier von fünf Beschäftigten (82 Prozent), für die ein Jobwechsel kein Thema war.

Drei von vier ud Arbeitnehmern (76 Prozent) haben laut der Untersuchung schon einmal den Job gewechselt. Die Gründe? Mehr als ein Drittel (34 Prozent) der Befragten erklärte, dies wegen zu niedriger Bezahlung getan zu haben. Ein ähnlich wichtiger Faktor: das Führungsverhalten der Vorgesetzten. Aus Unzufriedenheit mit dem Chef hat fast ein Drittel (29 Prozent) der Angestellten schon einmal seinem Arbeitgeber den Rücken gekehrt. Weitere Gründe waren – beziehungsweise sind – eine schlechte Unternehmenskultur (23 Prozent), eine interessante Position bei einer anderen Firma (22 Prozent), private Gründe (19 Prozent) und eine zu hohe Arbeitsbelastung (18 Prozent).

Führungsverhalten spielt wichtige Rolle

Vor allem bei jungen Angestellten spielt laut EY das Führungsverhalten der Vorgesetzten eine wichtige Rolle. So gaben 32,4 Prozent der Befragten im Alter von 21 bis 35 Jahren an, in ihrem relativ kurzen Berufsleben schon einmal aus Unzufriedenheit über das Verhalten ihres Chefs gekündigt zu haben. In der Altersgruppe der 51- bis 65-Jährigen sind es mit 27,8 Prozent weniger – und das, obwohl diese Arbeitnehmer schon deutlich länger beruflich tätig sind. Auch bei der Bezahlung lassen sich Generationsunterschiede feststellen: So sagen 41,4 Prozent der jungen Mitarbeiter, dass sie wegen zu geringer Bezahlung wechselten. Bei den Beschäftigten mittleren Alters sind es 37 Prozent, in der Gruppe der ältesten Arbeitnehmer nur 26 Prozent. Das sind Ergebnisse der alle zwei Jahre durchgeführten EY-Jobstudie, für die 1.555 Arbeitnehmer in Deutschland repräsentativ befragt wurden.

 „Wir stellen fest, dass das Führungsverhalten der Vorgesetzten für junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine viel größere Rolle spielt als für die Generationen zuvor. Junge Menschen, die am Anfang ihrer Karriere stehen oder erst einige Jahre gearbeitet haben, ergreifen ganz offensichtlich schneller drastische Maßnahmen als die Generation der sogenannten Babyboomer – viele von ihnen kündigen, wenn ihnen der Führungsstil und die Unternehmenskultur im Arbeitsalltag nicht passen. Sie können sich dies aktuell erlauben, weil der Arbeitsmarkt es hergibt und viele Unternehmen weiter vor allem nach gut ausgebildeten Fachkräften suchen“, sagt Jan-Rainer Hinz, Mitglied der Geschäftsführung, Leiter Personal und Arbeitsdirektor bei EY.

Nathalie Mielke, Partner & Talent Leader Assurance bei EY, gibt allerdings zu bedenken: „Langsam verdichten sich die Anzeichen, dass die schwache Konjunktur und weitere wirtschaftliche Herausforderungen auch Folgen für die Entwicklung des Arbeitsmarktes haben werden. Es sieht noch lange nicht nach einer kompletten Trendwende aus, aber: Die Arbeitsmarktdaten zeigen, dass die Unternehmen bei Neueinstellungen zurückhaltender agieren.“

Gefühl der Verbundenheit zum Arbeitgeber schwindet

Dies spiegelt laut EY auch die gefühlte Arbeitsplatzsicherheit der Angestellten wider. Nur noch etwas mehr als jeder Dritte (36 Prozent) schätzt seinen Job als sehr sicher ein – dies markiert den niedrigsten Wert seit 2015. Eine Entwicklung, die ein ohnehin schwächer werdendes Gefühl der Verbundenheit der Arbeitnehmer mit ihrem Arbeitgeber weiter schmelzen lässt: Nur noch 13 Prozent der Befragten sagen von sich, sich mit ihrem Unternehmen sehr eng verbunden zu fühlen – auch dieser Wert war nie geringer. Zum Vergleich: 2017 sagte noch jeder dritte Beschäftigte (34 Prozent), dass er eine sehr enge Verbundenheit zu seinem Arbeitgeber spüre. Dazu passt: Immer mehr Mitarbeiter sehen sich aktuell perspektivisch bei einem neuen Arbeitgeber (19 Prozent) – auch das ein Höchststand seit Beginn der Erhebung im Jahr 2015.

„Dies ist ohne Frage eine herausfordernde Situation für die Unternehmen: Talente und Fachkräfte zu halten, die ganz offensichtlich immer häufiger zu einem Jobwechsel bereit sind. Und gleichzeitig potenzielle neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den Vorzügen des eigenen Unternehmens zu überzeugen. Die Bezahlung ist hier ganz klar eine Stellschraube, die gerade bei der jüngeren Generation wichtiger ist als bei den älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die zum Teil bereits in Richtung Rente schielen“, sagt Hinz. „Aber auch softe Faktoren, die Art der Führung, die Kultur im Konzern und das Verhältnis zu den Kolleginnen und Kollegen, spielen eine wichtige Rolle und dürfen nicht außer Acht gelassen werden.“

Hier liege laut Mielke eine weitere Herausforderung, die den Arbeitsmarkt hierzulande in den kommenden Jahren prägen wird: Der geburtenstarke Jahrgang der Babyboomer wird sukzessive und in hoher Zahl in den Ruhestand gehen – und dabei Lücken hinterlassen, die schwer zu füllen sein werden. „Wir erleben gerade eine Zeit technologischer Umwälzungen, unter anderem durch Künstliche Intelligenz. Auf der einen Seite zeichnet sich schon jetzt ab, welche Rolle KI-Anwendungen in zahlreichen Aspekten unserer Arbeitswelt spielen können, wo sie Abläufe vereinfachen und auch bei der Fachkräfteproblematik helfen können. Dadurch tun sich neben Lösungen allerdings auch neue Herausforderungen für Arbeitgeber und Angestellte gleichermaßen auf, denn solche großen Veränderungen sind naturgemäß auch immer mit Ängsten verbunden – vor allem auf Seiten der Angestellten“, sagt Mielke. Fortbildungen und Qualifizierungsprogramme für Mitarbeiter sowie eine klare Kommunikation können hier beispielsweise Wege sein, um in dieser herausfordernden Gemengelage neues Vertrauen und Sicherheit zu schaffen und die Bindung der Angestellten an den Arbeitgeber zu erhöhen. Darüber hinaus werden flexible Arbeitszeitmodelle im Rahmen dieser Entwicklung weiter an Bedeutung gewinnen, ist sich Mielke sicher.

Bei Arbeitnehmern stehen solche Modelle, egal ob beispielsweise die Vier-Tage-Woche, Teilzeitmöglichkeiten oder Gleitarbeitszeit, schon jetzt hoch im Kurs: 63 Prozent der Befragten sagen, dass flexible Arbeitszeitmodelle ein Benefit sind, den Arbeitgeber anbieten sollten. Dahinter folgen Überstundenkompensation (58 Prozent) sowie Weiterbildungsmöglichkeiten (57 Prozent). An Bedeutung verlieren dagegen Leistungen wie Firmenwagen, den sich nur noch jeder fünfte Befragte (20 Prozent) wünscht oder kostenfreie Snacks im Büro, die sich weniger als ein Drittel (31 Prozent) wünscht.

red.