Verpackungen müssen gemäß der neuen EU-Verordnung nachhaltig sein. Wie es Maschinenbauer schaffen, Effizienz, Innovationen und Investitionsdruck auszutarieren – und trotzdem die Vorgaben zu erfüllen.
Die heißen Tage Anfang September führten viele Menschen an die Kühltruhen deutscher Supermärkte, um sich mit ausreichend Eisvorrat für Zuhause einzudecken. Doch ein deutscher Hersteller bringt derzeit die Social-Media-Community zum Grübeln: „Aus 40 Prozent gerettetem Eis“ steht auf der Packung einer Schokoladensorte. Auf seiner Internetseite verrät er, was es damit auf sich hat: In einem „innovativen Verfahren“ werde nicht verwendetes Eis eingeschmolzen und um „weitere hochwertige Zutaten“ ergänzt. 40 Prozent „Recycling-Eis“ in jeder Packung könnten nach Herstellerangaben die jährliche Lebensmittelverschwendung um mehrere Tonnen reduzieren. Mehr noch: Auch die Verpackung des cremigen Genusses sei zwar aus Gründen des Produktschutzes und strenger Anforderungen an Tiefkühlware aus Plastik, doch Becher und Deckel seien vollständig recycelbar. Das Beispiel vom „geretteten“ Speise-Eis illustriert, wie sehr das Thema Nachhaltigkeit in der Industrie inzwischen zur Unternehmenskultur, aber auch zum Marketinginstrument geworden ist – auch in der Verpackungsbranche.
Als essenzielles Glied in der Wertschöpfungskette stehen Verpackungsmaschinenbauer in Heilbronn-Franken vor genau dieser Herausforderung: Ihren Kunden nachhaltige und dennoch effiziente Lösungen anzubieten, dabei aber selbst den Spagat zwischen Kostendruck und vorgegebenen Klimazielen zu meistern. Ein Schritt hin zu diesen Zielen ist die im April verabschiedete EU-Verpackungsverordnung „Packaging and Packaging Waste Regulation“, kurz PPWR. Ihre Vorgaben sind vielfältig und schmecken nicht jedem so gut wie Schokoladeneis: Demnach müssen bis 2030 alle Verpackungen in der EU recycelbar sein. Hersteller sollen Design und Materialnutzung anpassen, damit Verpackungen besser wieder verwendet werden können. Auf diese Vorgaben und Kundenwünsche müssen Maschinenbauer innovativ reagieren.
Nachhaltigkeitsquote für Verpackungen
Zur EU-Verordnung gehört außerdem, Kreislaufwirtschaft zu fördern. Denn so wie ein Prozentsatz an „gerettetem“ Eis den kalten Schokogenuss ergänzt, sollen Verpackungen zum Beispiel künftig eine bestimmte Quote an eingesetzten Abfällen, sogenanntem Recyclat, erfüllen. „Die Trends der Branche haben direkten Einfluss auf den Verpackungsmaschinenbau. Nachhaltigkeitskriterien werden eine wichtige Kaufentscheidung“, konstatiert Christoph Kopp, Leiter der Studie „Die europäische Verpackungsindustrie 2025“, die die Managementberatung Horvath herausgegeben hat.
Auf der Branchenmesse Fachpack in Nürnberg, auf der zahlreiche regionale Unternehmen aus dem Kompetenzcluster „Packaging Valley“ vertreten sind, steht das Thema Nachhaltigkeit und im Speziellen die Verpackungsverordnung deshalb weit oben auf der Agenda. Die zentrale Frage: Sind der gesellschaftliche Druck und die regulatorischen Anforderungen Vor- oder Nachteil für die Verpackungsmaschinenbauer?
Verpackungsmaschinenbauer doppelt gefordert
„Ich würde eher von Chancen und Risiken als von Vor- und Nachteilen sprechen“, sagt Studienleiter Kopp, der bei Horvath die Bereiche Industrial Goods & Hightech in Österreich verantwortet: „Wer sich besser auf die neuen Marktgegebenheiten einstellt, wird erfolgreicher sein.“ Verpackungsmaschinenbauer müssten sowohl selbst dekarbonisieren und damit möglichst wenig CO2 für die Produktion sowie Vormaterialen verwenden, als auch ihren Kunden helfen, deutlich energieeffizienter zu werden. Die Verarbeitung von recycelten – beziehungsweise Mono-Materialen – müsse sichergestellt sein. „Wobei dies in der Regel mit bestehenden Maschinen schon möglich ist“, ergänzt er.
Zuletzt hatte die Branche der Horvath-Studie zufolge profitiert: Eine alternde Gesellschaft, die länger konsumiert und tendenziell verpackungsintensive Produkte wie Medikamente benötigt, die Zunahme von E-Commerce und die wachsende Zahl von Single-Haushalten mit einer Vorliebe für „To Go“- und Convenienceprodukte hätten die Verpackungsindustrie in den vergangenen Jahren – insbesondere seit der Corona-Krise – in kleinen Schritten sukzessive wachsen lassen. Nun konsolidiere sich der Verpackungsmarkt langsam, aber stetig. Damit würden die Kunden des Verpackungsmaschinenbaus weniger, aber größer und professioneller im Einkauf, diagnostiziert Kopp. Gleichzeitig zeigt die Studie aber auch: Für die Maschinenbaukunden ist Nachhaltigkeit ein Muss, um Konsumenten zu überzeugen. 70 Prozent der Endkunden bevorzugen umweltfreundliche Verpackungen. Sie greifen lieber zu Papier statt Plastik, zu wiederverwertbaren Materialen oder zu Produkten mit funktionalerer Verpackung – zum Beispiel wiederverschließbaren Beuteln. Die steigende Nachfrage und die Vorgaben der Verpackungsverordnung addierten sich demnach beim Thema Nachhaltigkeit zum Beschleuniger von Veränderungen in der Branche.
Know-how bei Innovationen sichert künftigen Erfolg
Welche Veränderungen das sind, hat der Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbauer in seiner aktuellen Studie „Nachhaltigkeit – Chance für den Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland“ in Kooperation mit der Unternehmensberatung McKinsey belegt: Aktuell hat Nachhaltigkeit für zwei Drittel der Befragten erheblichen Stellenwert. Innovative Verarbeitungsverfahren sind laut VDMA-Studie dabei der größte Hebel für Unternehmenserfolg: Wer sich im Wettbewerb den Wandel zunutze machen wolle, baue am besten hohes Know-how auf, um modulare, flexible Lösungen anzubieten, die mittels Robotik sowohl herkömmliche als auch nachhaltige Materialien verarbeiten könnten. Oder um Technologien zu entwickeln, die Folien- und Papierverbrauch minimieren, Monomaterialien und faserbasierte Packstoffe verarbeiten und zusätzlich Energie und Kühlwasser sparen.
Die Herausforderung nehmen die Verpackungsmaschinenbauer offenbar so gern an wie eine Einladung zum Eisessen. Ausnahmslos alle befragten Unternehmen sehen laut VDMA-Studie im Wandel der Nachhaltigkeits-Anforderungen Chancen, zum Beispiel, sich als Innovationstreiber zu positionieren. Doch bei allem Optimismus benennt die VDMA-Studie ein klares Aber. „Die Entwicklung innovativer und nachhaltiger Maschinen erfordert hohe Investitionen der Maschinenbauer, was sich im Preis dieser Maschinen niederschlagen wird.“ Aber wer zahlt in der Wertschöpfungskette den Mehrpreis zugunsten der Umwelt – Verbraucher, Hersteller oder doch die Maschinenbauer?
Kosten für nachhaltige Verpackungen trägt die Industrie
Letzteres befürchtet Ben Bessert, CEO der Zebra Engineering GmbH. Das Unternehmen aus Talheim ist seit vier Jahren Mitglied im Packaging Valley und als Lösungs- und Systemanbieter für die Bereiche Application, Smart Robotics und Automation auf der Fachpack in Nürnberg dabei. Verpackungsmaschinenbauer stehen nun vor völlig neuen Herausforderungen und haben oft kein passendes Know-how – oder dieses Know-how muss erst einmal gebildet werden. Die Kosten werden nicht 1:1 auf den Endkunden umzulegen sein, denn das würde zum Rückgang der Auftragseingänge führen“, sagt er. Er ist überzeugt: „Der Verpackungsmaschinenbau wird einen erheblichen Teil des Mehrpreises bezahlen müssen.“ So sieht es auch Horvath-Studienleiter Kopp: „Aktuell halte ich es auf allen Wertschöpfungsstufen schwierig, Kosten für Nachhaltigkeit weiterzugeben.“ Sie werde mittlerweile vorausgesetzt. „Damit muss die Industrie über alle Wertschöpfungsstufen den Großteil der Kosten für Nachhaltigkeit tragen. Nur ein kleinerer Teil landet beim Konsumenten“, glaubt er.
Nicht jeden schreckt der Kostendruck. Denis Schmidt, Leiter Vertrieb und Marketing bei der Octum GmbH in Ilsfeld, hält ihn für vertretbar – weil zeitlich begrenzt. Octum liefert industrielle Bildverarbeitungssysteme zur automatischen Oberflächeninspektion für Kunden überwiegend aus den Bereichen Pharma- und Medizintechnik, etwa zur Prüfung von Injektionsfläschchen. Auf der Fachpack präsentiert das Unternehmen unter anderem KI-Lösungen auf der Basis von Deep Learning. Auch in der Pharmaindustrie seien nachhaltige Verpackungslösungen inzwischen Trend, zum Beispiel der Verzicht auf Kunststoff, vorwiegend bei Sekundärverpackungen. Bei pharmazeutischen Behältern wie Vials oder Karpulen, in denen beispielsweise Impfstoffe gelagert werden, stünden derzeit noch die strengen Anforderungen an Sterilität gegen nachhaltigere Lösungen, sagt Schmidt. Dennoch: „Ich glaube, dass das Problem des Mehrpreises nur temporär eine Rolle spielen wird.“ Die Transformation sei zwar mit initialen Entwicklungs- und Übergangskosten verbunden, die trage aber letztlich der Konsument. Schmidt prognostiziert; „Sobald sich Standards flächendeckend etabliert haben, wird sich der Markt auch preislich entsprechend einpendeln.“
Ressourceneffizienz kann in der Industrie Kosten sparen
Ob höhere Preise für Anlagen tatsächlich zu weniger Aufträgen führen könnten, wie Zebra Engineering-CEO Ben Bessert vermutet, ist für seinen Branchenkollegen Danny Denk – ebenfalls Packaging-Valley-Mitglied – längst nicht ausgemacht. Der CEO beim Fichtenauer Sondermaschinenbauer Ecosphere GmbH & Co. KG wirbt auf der Fachpack für seine Eco-Module – anpassungsfähige Baugruppen, mit denen sich bestehende Anlagen erweitern lassen, statt dass in komplett neue Maschinen investiert werden muss. Er glaubt an die Chance, die im Thema Nachhaltigkeit liegt: „Das ist eine langfristige Investition, von der alle profitieren. Durch innovative Technologien kann der Verpackungsmaschinenbau nachhaltige Lösungen anbieten, die sich amortisieren und sogar Wettbewerbsvorteile schaffen“, sagt er. Ressourceneffiziente Anlagen, modulare Maschinenkonzepte und eine Ausrichtung auf Kreislaufwirtschaft könnten aus seiner Sicht Kosten sparen – und gleichzeitig nachhaltiger sein als früher.
Flexibilität als Schlüssel
Flexibilität ist auch für Zebra Engineering-Chef Bessert der Schlüssel. Er favorisiert nach eigenen Worten „den Ansatz des Kundennutzens“. Das bedeutet, Maschinen und Anlagen zu bauen, die mehrere Produkte sehr effizient herstellen könnten. Allerdings bezweifelt Bessert, dass alle den Vorteil darin erkennen: „Viele Unternehmen werden heute oft nur vom Wachstum getrieben, aber strukturell kaum in bestehenden Prozessen oder Know-how geändert.“ Lieber verkaufe man verschiedene neue Anlagen und mehr Service statt nur eines Allrounders oder ergänzenden Bauteils. „Mehr Marge wäre besser als mehr Umsatz – und würde zusätzlich die Nachhaltigkeit fördern. Aber das macht sich in der Bilanz nicht so gut“, kritisiert er. Die Unternehmensstruktur bei Zebra Engineering sei modular und effizient aufgebaut, um nicht selbst „Opfer dieser Gier zu werden“, wie er es nennt.
Zu neuen Geschäftsmodellen rät auch Studienleiter Kopp. Trotz des hohen Margen- und des gestiegenen Innovationsdrucks gebe es Strategien, um zukunftsfähig zu bleiben. „Je enger Maschinenbauer mit ihren Kunden und anderen Stakeholdern wie zum Beispiel Farb- und Rohstoff-Lieferanten kooperieren und deren Anforderungen im Detail verstehen, desto besser stehen Unternehmen im Wettbewerb da“, rät er. Im Maschinenbau seien die Einflussgrößen nicht eindimensional, sondern sehr breit. Viele Verpackungsmaschinenbauer in der Region beherzigen das schon. Auch Ecosphere-CEO Denk stimmt zu: „Eine enge Zusammenarbeit entlang der Lieferkette sichert langfristige ökologische und ökonomische Vorteile.“
Natalie Kotowski