Würth als Musterbeispiel einer „Sales Driven Company“ hat die Vertriebsstrategien vieler Unternehmen in der Region geprägt. Wer Verkauf priorisiert, kann sich auch in herausfordernden Zeiten mit seinem Vertrieb einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, ist B2B-Experte, Privatdozent und Consultant Prof. Dr. Dirk Zupancic aus Beilstein überzeugt. Das gilt vor allem für Heilbronn-Frankens Hidden Champions.

Nicht wenige Menschen denken bei Vertrieblern immer noch an geschniegelte Anzugträger, die mit manipulativer Eloquenz sogar „Eskimos Kühlschränke verkaufen“ können. Ein Vorurteil, das Prof. Dr. Dirk Zupancic zum Schmunzeln bringt. Nicht nur, weil wohl kein Inuit darauf hereinfallen würde. „Stimmt schon: Vertrieb hat ein Imageproblem“, gibt der Privatdozent an der Universität St. Gallen, B2B-Experte und Inhaber von DZP Prof. Dr. Dirk Zupancic Projects GmbH in Beilstein zu. „Aber erstens ist diese Vorstellung klischeehaft und zweitens stimmt sie nicht mehr.“ Wie aufs Stichwort kommt sogleich der Vertriebsexperte in Zupancic zum Vorschein: „Mit dem Vorurteil lässt sich aber spielen: Bei arktischen Temperaturen sind alle Speisen an der Luft tiefgefroren. Da benötigt man einen Kühlschrank zum Auftauen auf eine Temperatur, bei der man das Essen verarbeiten kann.“
Überzeugende Verkäufer lösen Probleme
Zack, ist aus dem scheinbar Unmöglichen doch noch ein Verkaufsargument geworden. Zumindest wenn man von der Frage absieht, woher in arktischen Iglus der nötige Strom kommt. Zupancics Beispiel von den Kühlschränken als Enteiser illustriert seine These: Überzeugende Verkäufer „schwatzen Kunden nichts auf, sondern lösen ihre Probleme und erklären den Mehrwert von Produkten und Dienstleistungen. Das ist nicht trivial.“
Besonders attraktiv erscheint der Job nach Zupancics Erfahrung den meisten trotzdem nicht: Schon in seiner Zeit als Präsident der German Graduate School of Management & Law (GGS) in Heilbronn, und auch heute noch an der Universität St.Gallen, reize ambitionierte Hochschulabsolventen eine Karriere im Sales vergleichsweise wenig.
„Dabei ist Vertrieb ein sehr attraktives Wachstumsfeld mit strategischem Potenzial, das zum entscheidenden Differenzierungs- und Wachstumsmotor für Unternehmen werden kann“, ist Zupancic überzeugt. Statt dem Klischee vom windigen Vertreter anzuhängen, wäre für ihn mehr Wertschätzung gegenüber Sales-Aufgaben angebracht. Schließlich sprudeln die vier Wachstumsquellen, aus denen sich Unternehmenserfolge nach seinen Worten speisen – Akquise, Kundenbindung, Innovation und Leistungspflege – zu großen Teilen dank des Vertriebs.
Würth als Musterbeispiel einer Sales Driven Company
Nur eine knappe Dreiviertelstunde Autofahrt entfernt von Zupancics Unternehmenssitz in Beilstein befindet sich in Künzelsau das „Reich“ des Mannes, der Vertriebsmitarbeiter so stark wertschätzt wie kaum ein anderer: Prof. Dr. h.c. mult. Reinhold Würth, die Gallionsfigur in Sachen Verkauf, wie Zupancic ihn bezeichnet. „Sein Unternehmen ist für mich das Musterbeispiel einer Sales Driven Company“, sagt der Wirtschaftsprofessor, der zahlreiche Bücher zum Thema publiziert hat. Auch die Gründe für Prof. Würths Welterfolg hat er in einer Fallstudie mit dem Titel „Vertriebsorientierung als Wettbewerbsfaktor“ untersucht, den Künzelsauer Visionär dafür seinerzeit ausführlich interviewt. Prof. Würth, so steht es in der Studie, habe ihm 2009 gesagt: „Schrauben und Befestigungsmaterial, das sind ja keine besonderen Produkte, die man nun unbedingt von Würth bräuchte. In jedem Eisenwarenladen bekommen Sie Schrauben. Der Vertrieb ist hier der Schlüssel für den Erfolg.“ Die Kernkompetenz von Würth liegt laut der Studie zu 95 Prozent im Verkauf.
Auch wenn der Produktkatalog des „Schraubenkönigs“ inzwischen riesig ist und längst nicht mehr auf „einfache Produkte“ beschränkt – die Maxime, Vertrieb zur Königsdisziplin und die Verkäufer zu den wichtigsten Mitarbeitern zu erklären, gilt dort nach Zupancics Ansicht nach wie vor.
Vertrieb als strategisches Werkzeug
Fast konkurrenzlos gut strukturierter Vertrieb bilde seit Jahrzehnten das Alleinstellungsmerkmal, den Unique Selling Point (USP) des Weltmarktführers. Ein Wettbewerbsvorteil, der trotz Veränderungen an internationalen Märkten stabil bleibe: „An diesem Beispiel sieht man sehr gut, dass das Unternehmen nicht stehen geblieben ist bei dem Modell, das Prof. Würth vor Jahrzehnten entwickelt hat, sondern sich ständig weiter entwickelt.“ Der Weltmarktführer sei auch für Multichanneling ein gutes Beispiel: Ob im Außendienst, in den Niederlassungen oder im Online-Business – der Kunde werde auf allen drei Vertriebskanälen optimal bedient. „Das ist, was Würth auszeichnet. Davon können andere Unternehmen viel lernen“, sagt B2B-Stratege Zupancic. In der Region sei außer Würth auch die Berner Group in gewisser Weise ein Vertriebsvorbild. „Heute müssen auch Unternehmen mit komplexeren Produkten lernen, wie sie Vertrieb zum strategischen Werkzeug machen. Technologie- und frühere Produktvorteile schmelzen dahin“, sagt er.
Dass sich auch hoch komplexe Produkte und Dienstleistungen erfolgreich verkaufen lassen, zeigt die Bechtle AG. Die Vertriebsstrategie von Deutschlands größtem IT-Systemhaus mit Hauptsitz in Neckarsulm fußt auf dem „Keep it simple-Prinzip“, das laut Zupancic auch Würth auszeichnet. Bechtle hatte im Januar die Verantwortung für seine Vertriebskanäle auf Vorstandsebene gebündelt, um die Multichannel-Strategie in allen Märkten weiter auszubauen. „Tatsächlich ist ,Vereinfachung‘ eines der Argumente, alle Vertriebswege in einer Hand zu bündeln. Unsere zunehmende Internationalisierung und die sich verändernden Anforderungen unserer Kunden, IT über alle Vertriebskanäle zu beziehen, erfordern einen neuen Blick auf die Ländermärkte“, sagt Oliver Hambrecht, Bereichsvorstand für die Region Südwestdeutschland und Österreich bei der Bechtle AG.

Dass sich auch hoch komplexe Produkte und Dienstleistungen erfolgreich verkaufen lassen, zeigt die Bechtle AG. Die Vertriebsstrategie von Deutschlands größtem IT-Systemhaus mit Hauptsitz in Neckarsulm fußt auf dem „Keep it simple-Prinzip“, das laut Zupancic auch Würth auszeichnet. Bechtle hatte im Januar die Verantwortung für seine Vertriebskanäle auf Vorstandsebene gebündelt, um die Multichannel-Strategie in allen Märkten weiter auszubauen. „Tatsächlich ist ,Vereinfachung‘ eines der Argumente, alle Vertriebswege in einer Hand zu bündeln. Unsere zunehmende Internationalisierung und die sich verändernden Anforderungen unserer Kunden, IT über alle Vertriebskanäle zu beziehen, erfordern einen neuen Blick auf die Ländermärkte“, sagt Oliver Hambrecht, Bereichsvorstand für die Region Südwestdeutschland und Österreich bei der Bechtle AG.
Vertrieb als Wettbewerbsvorteil in der Unternehmensstruktur
Nach Zupancics Definition also im besten Sinn „Sales driven“? „Der Vertrieb nimmt eine zentrale Rolle für den Unternehmenserfolg von Bechtle ein“, sagt Hambrecht. Dieser Bereich sei nicht nur ein grundlegender Bestandteil der Geschäftsstrategie, sondern auch ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, der maßgeblich zur Positionierung und zum nachhaltigen Wachstum des Unternehmens beitrage. Den Fokus auf eine „bessere Vertriebsstrategie als andere“ zu setzen, verfolgt Bechtle laut Hambrecht konsequent: „Entscheidend ist, dass Vertrieb einen hohen Stellenwert im Unternehmen hat. So hoch, dass auch die Unternehmensstruktur, -organisation und -ziele bis hin zur Unternehmensvision vertriebsorientiert sind.“ Bechtle sei extrem dezentral aufgestellt mit mehr als 120 Standorten, eigenverantwortlichen Geschäftsführenden und regionalen Vertriebsteams vor Ort, „die nicht nur eine unmittelbare Nähe zu den Kunden gewährleisten, sondern auch eine effiziente Betreuung ermöglichen“.
Das Verkaufen im gesamten Unternehmen mitzudenken, hat laut Zupancics Fallstudie auch Würth an die Weltspitze gebracht. Nach Hambrechts Einschätzung gibt es aber noch mehr Gemeinsamkeiten zwischen dem Schrauben-Visionär und dem IT-Spezialisten: „Die überragende Parallele ist sicher die Kundenzentrierung. Sowohl Bechtle als auch Würth setzen auf den nachhaltigen Aufbau und die Pflege langfristiger Kundenbeziehungen. Vertrauen in die Produkte und Dienstleistungen spielt eine sehr große Rolle – auch das eint beide Unternehmen in ihrer Beziehung zu Kunden. Wenn wir es also auf einen Nenner bringen: Bechtle und Würth sind insbesondere durch ihre kundenzentrierte und qualitätsorientierte Strategie erfolgreich“, fasst der Bechtle-Bereichsvorstand zusammen.
Vertrieb als Wettbewerbsvorteil wird noch nicht voll ausgeschöpft
Obwohl es also einige Vorreiter in der Region gibt, die mit dem Werkzeug Vertrieb geschickt umgehen, ist diese Fähigkeit aus Zupancics Sicht bei vielen anderen Unternehmen ähnlich verbreitet wie Steckdosen in Iglus: „In Heilbronn-Franken gibt es viele Hidden Champions, die immer noch über ihre Technologien differenzieren. Im Thema Vertrieb stecken aber bei vielen Unternehmen Optimierungsreserven, die sie nicht ausschöpfen. Hauptsächlich deshalb, weil sie das lange nicht mussten“. Viele Technologie-Unternehmen in Heilbronn-Franken hätten in der Vergangenheit genügend Wettbewerbsvorteile allein dank ihrer Produkte gehabt. Doch die Annahme, dass sich die eigene hohe Qualität und Einzigartigkeit „von selbst“ verkauft, stößt an Grenzen, wenn die Wirtschaft abkühlt: „Die Spielräume werden kleiner“, sagt Zupancic, „der Standort ist unter Druck. Trotzdem habe ich bei Führungskräften in technologiegetriebenen Unternehmen immer noch das Gefühl, dass Vertrieb ein lästiges Anhängsel ist“.
Eine realistische Analyse, „was Märkte für unsere Hidden Champions gegenwärtig hergeben“, könnte aus Sicht des Professors und Vertriebs-Experten zum Umdenken führen – gerade für jene, die stark von der Automobilindustrie abhängig seien. Die Stimmung ist aktuell recht frostig: „Da werden die Bäume für die klassischen Erstausrüster in den kommenden Jahren nicht mehr in den Himmel wachsen“, prognostiziert Zupancic. Exportorientierte Unternehmen hätten gegen Konkurrenz, beispielsweise aus Asien, immer weniger Vorsprung beim Preis-Leistungsverhältnis. Sich angesichts dieser Herausforderungen für den Verkauf, das Stiefkind im Marketing-Mix, zu erwärmen, sei nur sinnvoll: „Natürlich muss man auf lange Sicht überlegen, wie man sein Unternehmen ausrichtet. Aber kurzfristig sollte man zunächst schauen, was man mit den Möglichkeiten erreichen kann, die einem hier und heute zur Verfügung stehen.“
Strukturierter Vertrieb als Wettbewerbsvorteil für KMU
Dass strukturierter Sales eine Chance gerade für den regionalen Mittelstand sein kann, ist auch für das Netzwerk Transformotive unbestritten. Das Partner-Projekt der Wirtschaftsregion Heilbronn-Franken GmbH (WHF) und der Wirtschaftsförderung Raum Heilbronn GmbH (WFG), das die Fahrzeug- und Zulieferindustrie der Region bei der Branchen-Transformation begleiten soll, startet deshalb am 29. April eine weitere Workshop-Reihe speziell für KMU unter dem Titel „Kunden- und Vertriebsorientierung“.
Auch Alexandra Bergmann, Projektmanagerin im Netzwerk Transformotive, die gemeinsam mit ihrem Fachkollegen Stephan Hirth die Workshops verantwortet, ist überzeugt, dass sich einiges von den großen Vorbildern lernen lässt: „Je nach Betrachtung der Global Player lassen sich Methodiken erkennen und auf KMU angepasst übernehmen“, sagt sie. Bei den Workshops geht es laut Netzwerk Transformotive deshalb darum, Wissen über moderne Ansätze besserer Kundenbindung und Markterschließung zu vermitteln, Pilotprojekte zu initiieren und sich mit anderen Unternehmen auszutauschen. „Für KMU ist es vor allem wichtig, praktikable Lösungen im Low-Budget-Bereich zu zeigen.“

Gerade weil Vertrieb vergleichsweise günstig zu optimieren sei, sieht auch Zupancic darin eine naheliegende Option: „Man muss in die richtige Mannschaft investieren, in gute Führung und sinnvolle Systeme – aber das erfordert keine Millioneninvestitionen wie in Innovationen oder neue Geschäftsmodelle. Das ist ein Quick Win“, sagt er.
Obwohl einige große Unternehmen und Weltmarktführer in Heilbronn-Franken in den vergangenen zwei bis vier Jahren ihre Strukturen neu organisiert haben, um wie Bechtle Märkte angesichts zunehmender Internationalisierung und Digitalisierung besser zu bedienen, funktioniert das nicht für jedes Unternehmen, gibt Transformotive-Experte Hirth zu Bedenken: Eine Vertriebsstruktur muss nach seiner Ansicht schon definiert oder vorhanden sein und die Prozesse bereits effizient und effektiv laufen, bevor sie digitalisiert werden können. „Sonst wird ein schlechter Prozess zu einem schlechten digitalisierten Prozess“, sagt der Projektmanager.

Digitalisierung, modernes Marketing, gutes Training
Doch was sind nun die entscheidenden Hebel, die Unternehmen in Bewegung setzen müssen, um eingefrorene Kundenkontakte aufzutauen und den Vertrieb zum Wettbewerbsvorteil zu machen? Für KMU sieht Transformotive-Expertin Bergmann eine große Chance darin, zu digitalisieren und modernes Marketing zu betreiben – inklusive Social-Media-Präsenz. Etwas anders fallen Zupanics Tipps für B2B-Vertriebsorganisationen der größeren Mittelständler und Hidden Champions aus. „Es gibt eine ganze Reihe von wissenschaftlich untersuchten Merkmalen, was gute Vertriebler im B2B anders machen. Man wird zum Beispiel feststellen, dass Unternehmen wie Würth sehr gut trainieren, ausbilden und führen“, erläutert er.
Entscheidend: Prof. Würth habe guten Verkauf immer „von oben vorgelebt“. Der zweite Faktor: „Ein Vertriebler muss im Unternehmen gut vernetzt sein, damit er im Zweifelsfall auch mal im Team mit einem Produktspezialisten oder IT-ler beim Kunden auftreten kann“, rät Zupancic. Der stärkste Stellhebel sei aber nach wie vor der persönliche Verkauf. „Man muss versuchen, den Kunden mit den eigenen Lösungen erfolgreicher zu machen. Damit ist man vielmehr ein Berater für den Kunden als ein Verkäufer – das Verkaufen passiert dann quasi Huckepack.“ Ein wenig Verkaufstraining genüge aber nicht: „Um systematische Beratungskompetenz zu entwickeln, muss ein Vertriebler das Kundengeschäft bis ins Detail verstehen“.
Weiterentwicklung des klassischen Außendienstmodels
Auch das Key Account Management, die hohe Kunst des persönlichen Verkaufs, beherrscht man bei Würth nach Zupancics Worten heute sehr gut: „Key Account Manager sind dort neben dem Außendienst für weniger und sehr wichtige Kunden langfristig verantwortlich. Auch hier sieht man die Weiterentwicklung vom klassischen Außendienstmodel.“ Key Account Management, starke Akquise, gepaart mit viel Know-how über Kunden und eigene Produkte und eine wertschätzende Haltung gegenüber dem Vertrieb: Das kann aus Sicht des Wirtschaftsprofessors den Kampf um Käufer erleichtern.
Eine Eins-zu-Eins-Strategie, mit der jedes Unternehmen verkauft wie das Künzelsauer Vorbild, gibt es indes nicht: „Wenn man sich ansieht, wie Würth heute Vertrieb macht, ist vieles dabei, das man nicht kopieren kann.“ Was aber sehr wohl möglich sei: Zu überprüfen, welche Strategie – angepasst auf das eigene Unternehmen – funktionieren könnte. Für ihn steht fest: „Würth ist mehr denn je ein gutes Vorbild.“
Natalie Kotowski