Als Speakerin auf dem Zukunftswiesen Summit vermittelt Gründerin Lisa Gradow, dass Künstliche Intelligenz den Menschen nicht ersetzen, sondern unterstützen kann. Wie die Technologie für Unternehmer zum Game-Changer wird, erklärt sie in ihrem Gastbeitrag.
Noch nicht allzu lange ist es her, als wir Zeuge der Zeitenwende vom Einzelhandel zum Onlinehandel wurden. Es gab Unternehmen, die von Anfang an vorne mit dabei waren. Andere, die den Trend erst nicht wahrhaben wollten und neue Marktteilnehmer belächelten, dann aber schmerzlich erfahren mussten, dass der Vorsprung einiger Pioniere nicht mehr aufzuholen war. Geschichte wiederholt sich bekanntlich, und so werden die Karten durch die Technologieinnovation (Generative) KI gerade neu gemischt.
Als Geschäftsführerin eines Softwareunternehmens im Bereich Corporate Governance bin ich täglich im Austausch mit Aufsichtsräten, CEOs, CFOs und General Counsels deutscher Mittelständler. Ich beobachte eine deutliche Lagerbildung. Unternehmen, die schon seit Monaten oder Jahren ganze Teams aufgestellt haben und in verschiedenen Bereichen mit KI arbeiten. Auf der anderen Seite Unternehmen, die sich erst einmal die Entwicklungen „anschauen“ wollen, um dann zu entscheiden, was man selbst für sinnvoll hält.
Menschen durch Künstliche Intelligenz produktiver machen
Da fragt man sich: Gibt es Unternehmen, die es sich leisten können, sich der KI-Revolution zu entziehen und bewusst keine KI-Strategie zu verfolgen? Eigentlich nicht. Es kommt natürlich darauf an, in welcher Industrie man sich bewegt. Ein Restaurant- oder Handwerksbetrieb wird weiterhin von Menschen abhängen, die den Service machen oder auf der Baustelle sind. Aber auch in diesen Branchen könnte sich früher oder später etwas ändern – in anderen Ländern sind Roboter bereits fürs Geschirrabräumen oder Abspülen im Einsatz. Bei der KI-Revolution, die einige auch als vierte industrielle Revolution bezeichnen, geht es auch nicht unbedingt darum, den Mensch zu ersetzen. Es gilt, ihn produktiver zu machen. Ihm Tools an die Hand zu geben, mit denen er effizienter und sicherer arbeiten kann.
Sicher ist jedenfalls, dass vor allem produzierende Unternehmen, die in der Region Heilbronn-Franken stark sind, massiv von Künstlicher Intelligenz profitieren. Insbesondere im Bereich Manufacturing wird KI zum Game-Changer. Ein Beispiel sind die smarten Greifarme des Lauffener Unternehmens Schunk. In nur wenigen Stunden können die Roboter für eine neue Aufgabe programmiert werden, zum Beispiel um bestimmte Schraubenarten zu sortieren. Das bedeutet, dass niemand mehr händisch Schrauben sortieren muss. Aber es wird auch ein neuer Jobbedarf sichtbar: Jemand muss den Roboter programmieren, pflegen, kontrollieren und Prozesse weiter optimieren.
Künstliche Intelligenz als unternehmensweites Projekt
Grundsätzlich gilt: Jeder Bereich darf beziehungsweise muss neu gedacht werden. Ob es darum geht, wie die Lagerlogistik mit KI optimiert werden kann. Oder die Belege von KI eingelesen und den richtigen Buchungen zugeordnet werden können,. Oder wie KI aus Notizen der Aufsichtsratssitzung ein voll ausformuliertes Protokoll machen kann. Egal, ob Prozesse, die man schon seit vielen Jahren mit Tools optimiert hat, oder Prozesse, die noch komplett manuell ablaufen: Die neue Technologie „Generative KI“ ermöglicht Dinge, die vor Kurzem technisch noch nicht möglich waren. Deswegen ist jetzt der richtige Moment, noch einmal alles in Frage zu stellen. Diese Denkaufgabe muss ein unternehmensweites Projekt werden, das ganz oben aufgehängt ist und gesamtheitlich gedacht wird.
Die gute Nachricht: Es ist noch lange nicht zu spät, mit KI anzufangen. Dafür muss man auch gar nicht unbedingt selbst Künstliche Intelligenz entwickeln. Es gibt mittlerweile so viele Tools, die diese Technologie für eine Vielzahl an Use Cases bereits integriert haben und out-of-the-box verfügbar machen. Viele Softwareanbieter sind gerade dabei, sich neu zu erfinden. Deshalb ist es sinnvoll, bei bestehenden Software-Lieferanten nachzufragen, welche Neuerungen und Features bezüglich KI es schon gibt oder geplant sind. Wenn die Antwort negativ ausfällt, kann man sich für die Zukunft einen neuen, innovativen Anbieter suchen.
KI-Agenten werden die Arbeit erleichtern
Was sich bei vielen Tools in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln wird, sind sogenannte KI-Agenten. Im Fall meines Unternehmens Fides, einem Software-Unternehmen im Bereich Corporate Governance, sieht ein KI-Agent so aus: Der Nutzer tippt „Erstelle mir einen Gesellschafterbeschluss für die schwedische Tochterfirma, auf bilingual Schwedisch-Englisch, dass der Geschäftsführer A durch Geschäftsführer B ersetzt wird“. Zwei Sekunden später antwortet der KI-Agent: „Ich habe den Beschluss erstellt, hier ist der Link zum Draft.“ Ein anderer Befehl könnte sein: „Erstelle eine Agenda für die nächste Vorstandssitzung“ oder „Erstelle mir eine Liste mit allen Gesellschaften, in denen Max Müller zeichnungsberechtigt ist.“ Dinge, die man eigenhändig heraussuchen musste und für die es viele Klicks brauchte, bis man das Ergebnis parat hatte, sind sofort abrufbar.
Large Language Models individuell „finetunen“
Außer KI-Tools einzusetzen, ist es ebenso möglich, sogenannte Large Language Models (LLMs) für sich „finezutunen“. Beim Finetuning werden bestehende LLMs – etwa GPT-4.0 von OpenAI – mit unternehmenseigenen Daten weitertrainiert, um präzisere und relevantere Ergebnisse zu liefern. Diese Vorgehensweise ist besonders sinnvoll, wenn Unternehmen mit branchenspezifischen Fachbegriffen, individuellen Prozessen oder privaten, nur Einzelnen zugänglichen Daten arbeiten, die in generischen Modellen oft nicht ausreichend berücksichtigt werden. Typische Use Cases sind unter anderem die automatisierte Erstellung von technischen Dokumentationen, die Unterstützung bei komplexen Kundenanfragen im Support, die Verarbeitung und Analyse von Verträgen oder anderen rechtlichen Dokumenten. So können Unternehmen sicherstellen, dass die generierten Inhalte und Analysen exakt auf ihre Bedürfnisse, Regeln und Eigenheiten abgestimmt sind. Das steigert die Effizienz und besonders die Qualität der Ergebnisse und liefert echte Wow-Momente.
Doch für Mittelständler ist das Mindset aktuell am wichtigsten. Die Motivation, von Anfang an vorne mit dabei zu sein, offen zu sein für Veränderungen und einfach mal auszuprobieren und nicht nur zuzuschauen. Es gibt viel zu gewinnen.
Die Autorin
Lisa Gradow gründete 2021 gemeinsam mit Philippa Peters und Vincent Bobinski das Corporate-Governance-Start-up Fides (www.fides.technology). Sie tritt als Speakerin auf dem Zukunftswiesen Summit auf.