Auf welche Veränderungen sollten sich Unternehmen für die kommenden fünf bis zehn Jahre in unserer Region Heilbronn-Franken einstellen? Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky prognostiziert: Große und kleinere Arbeitgeber in Heilbronn-Franken, die flexibel und offen mit Veränderungen umgehen und sich als „Caring Companies“ um ihre Mitarbeiter kümmern, bleiben vorne im Kampf um kluge Köpfe.

Herr Jánszky, Sie sind einer der renommiertesten Zukunftsforscher Deutschlands. Können Sie prognostizieren, wie der Arbeitsplatz der Zukunft in unserer Region in den kommenden fünf bis zehn Jahren aussehen wird?
Sven Gábor Jánszky: Der Arbeitsplatz der Zukunft wird dafür gemacht sein, dass Menschen dort zusammenkommen. Das klingt vielleicht komisch, weil schon heute Menschen in Büros zusammenkommen – wo soll da der Unterschied sein? Aber heutige Arbeitsplätze sind immer noch so beschaffen, den Menschen einen Tisch und einen Stuhl zu bieten, damit sie mit Computern Informationen empfangen oder senden können. Diese Tätigkeiten, die heute ein Mensch mit seinem Computer allein am Schreibtisch macht – egal ob der in einem Büro steht oder zuhause – werden in den nächsten Jahren von Künstlicher Intelligenz übernommen. Wir werden erleben, dass alles, was mit Konversation und Sprache zu tun hat, egal ob geschrieben oder gesprochen, immer besser, billiger und schneller durch KI-Systeme übernommen wird. Ich will nicht sagen, dass Computerarbeit in fünf Jahren weggefallen ist. Aber der Wert dieser Tätigkeit wird stark sinken. Auf der anderen Seite steigt der Wert dessen, was Menschen mit anderen Menschen tun, wo direkte menschliche Kommunikation einen Vorteil bietet. Bedeutet also: Bei den Arbeitsplätzen der Zukunft wird es immer stärker darum gehen, dass Menschen zusammenkommen, miteinander reden und sich gegenseitig auf Ideen bringen, kritisieren und verbessern. Auch das gegenseitige Motivieren wird einen viel höheren Stellenwert bekommen als es bisher hatte. Ob das in Büros in der Heilbronner Innenstadt passiert oder in Co-Working-Spaces, ist erst einmal zweitrangig.
Also erleben wir eine Renaissance der Kundenkontakt-Branchen?
Jánszky: Wir gehen von einer Kundensegment-Pyramide der Zukunft aus und ermitteln: Wie ticken meine Kunden? Wollen die mit einem Ansprechpartner persönlich reden oder wollen sie so schnell und günstig wie möglich digital etwas erledigen? In den verschiedenen Branchen gibt es neun Segmente, nur zwei davon zielen auf direkten persönlichen Kontakt, vier wollen ausschließlich digital agieren, drei sind Mischsegmente. Handel und Dienstleistungen als Beispiele für Kundenkontakt-Branchen erleben daher zwar keine Renaissance wie früher. Aber innerhalb dieser Segmente steigen die Preise – weil die Interaktion Mensch zu Mensch wertvoller wird.
Wie kann die Zukunft für die Unternehmen unserer Region aussehen, in der es viele Maschinenbauer, Zulieferer und Verpacker gibt?
Jánszky: Wir als Institut haben vor drei Jahren unser erstes KI-Projekt für einen großen Maschinenbauer gemacht – also etwas ganz Typisches für Heilbronn-Franken. Die gaben zu ihren Maschinen ein Handbuch mit über 1000 Seiten zur Selbsthilfe bei Fehlercodes dazu. Wenn bei Kunden wirklich ein Fehler auftaucht, blättert aber niemand durch 1000 Seiten. Die Firmen rufen die Hotline-Nummer an. Das führte in dem beschriebenen Fall dazu, dass dieses Unternehmen immer seine erfahrensten Mitarbeiter an die Hotline setzen musste, weil nur er jeden jeden Fehlercode auswendig kannte. Jetzt haben wir aber Fachkräftemangel, auch in Heilbronn-Franken. Das heißt, es ist der heutigen Zeit völlig unsinnig, seine besten Leute an die Hotline zu setzen. Wir haben daraufhin anhand des Handbuchs eine KI trainiert, die die Telefonate mithörte und lernte, welche Fragen häufig gestellt werden. Die Firma konnte dadurch nicht den erfahrensten, sondern den unerfahrensten Mitarbeiter an die Hotline setzen – die KI sagte ihm immer, was er antworten sollte.
Damit hatte der Mitarbeiter einen Super-Assistenten.
Jánszky: Ja, und genau das wird mit Jobs passieren, die mit Kommunikation zu tun haben. In allen Bereichen: von Mittelstand, Weltmarktführern bis zu Hidden Champions, bezogen auf Kundendialog, Sales und Marketing.
Was passiert künftig in produzierenden Unternehmen, die bei uns sehr stark sind?
Jánszky: Wir gehen im Augenblick davon aus – das zeigen uns weltweite Studien – dass ab Ende dieses Jahres in Größenordnungen des Massenmarktes humanoide Roboter verkauft werden. Das sind Roboter, die Hände und Füße wie ein Mensch haben und dessen Bewegungen ausführen können. Sie können alles, was ein Mensch kann. Weltweit gibt es schon etwa 30 Hersteller. Die prognostizieren, dass sie sie noch in diesem Jahr erstmals in größerem Umfang international an andere Unternehmen liefern werden. Zum Stückpreis von 30.000 US-Dollar in Amerika, bei europäischen Herstellern kosten die Roboter 17.000 US-Dollar. Und die Chinesen – in China sitzen die meisten dieser Hersteller – sagen: 10.000 US-Dollar, Preistendenz mittelfristig bis herunter auf 2000 Euro. Viele Werkshallen sind heute schon automatisiert, Robotik hat Einzug gehalten. Aber überall dort, wo menschliches Tun gefordert ist, werden wir spätestens Anfang kommenden Jahres eine Alternative haben, die einmalig maximal 30.000 Euro kostet. Sie kann zwar einen Menschen nicht eins zu eins ersetzen, weil die Roboter mit relativ kleinen Batterien arbeiten, und nur etwa eine Stunde durchhalten. Man braucht pro Mitarbeiter drei humanoide Roboter – einer arbeitet, zwei hängen an der Steckdose. Jetzt kann man durchrechnen, wann sich 90.000 Dollar gegenüber dem Durchschnittslohn eines Arbeiters amortisieren.
Mittelfristig gesehen kann man also einen chinesischen Robotermenschen zum Preis eines niedrigen Monatsgehalts kaufen?
Jánszky: Es ist natürlich die Frage, wie die Unternehmen sich entscheiden. Die, die wir betreuen, sind wegen des Datenschutzes bei chinesischen Modellen noch zurückhaltend. Aber viele warten darauf, dass die Amerikaner soweit sind.
Das jüngste „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ zeigte in einer Umfrage unter etwa 500 Unternehmern, dass sich aktuell nur neun Prozent der Befragten Sorgen um den Fachkräftemangel machen. Ist das blauäugig?
Jánszky: Ich glaube nicht, dass das blauäugig ist. In den kommenden zehn Jahre werden wir zwar die Massenverrentung der Baby-Boomer-Generation erleben – der Peak wird um 2030 sein. Wir haben dann jedes Jahr doppelt so viele Menschen, die aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, wie Nachwuchs, der den Arbeitsmarkt betritt – und die Zahl nicht besetzter Stellen wird von 1,8 Millionen heute auf fünf bis sechs Millionen anwachsen. Angesichts dessen müsste man annehmen, Fachkräftemangel sei das wichtigste Thema. Aber auf dem Gipfeltreffen trifft man eine ziemlich exklusive Auswahl an Unternehmen, die bessere Voraussetzungen haben, und deshalb den Fachkräftemangel nicht als erste Priorität ansehen. Die großen Arbeitgeber – die Champions – haben das Problem tatsächlich nur in abgeschwächter Form. Weil sich der Fachkräftemangel ja nicht zu gleichen Teilen auf die Branchen auswirkt. Zudem gibt es auch innerhalb der gleichen Branche die Unternehmen, bei denen sich aufgrund guter Reputation und einer starken Marke alle bewerben, und die, bei denen sich keiner mehr bewirbt. Auch große Arbeitgeber spüren den Fachkräftemangel durchaus, aber deutlich weniger als Kleine. Und diese großen Arbeitgeber haben in aller Regel bessere Möglichkeiten, neue Technologien wie KI zu implementieren, die den Mangel durch höhere Effizienz abmildern. Diese Champions sind wirtschaftlich potent, oft familiengeführt. Da werden schnellere Entscheidungen getroffen, etwa für KI. Nicht so wie in Konzernen, wo solche Prozesse oft mehrere Jahre dauern.

In Ihrer Trendanalyse trennen Sie zwei Modelle, wie Unternehmen und Arbeitskräfte künftig miteinander umgehen werden. Sie unterscheiden „Caring Companies“ – Mittelständler in überwiegend ländlichen Regionen gegenüber „fluiden Unternehmen“. Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen?
Jánszky: Zunächst einmal die „fluiden Unternehmen“: Wenn unsere Prognose zutrifft, werden etwa 40 Prozent der Menschen in Deutschland künftig zu sogenannten Projektarbeitern. Sie bleiben nur für ein einzelnes Projekt bei einem Arbeitgeber, das vielleicht sechs Monate oder ein Jahr lang läuft. Danach lassen sie sich wieder abwerben. Diese sehr begehrten Arbeitnehmer sind keine Freelancer, sondern fest angestellt, aber sie arbeiten nach kürzerer Zeit wieder woanders. Wenn das 40 Prozent der gesamten arbeitenden Bevölkerung so handhaben, ist die Frage: Zu welchem Arbeitgeber gehen diese Projektarbeiter? Welches Unternehmen schafft es, dass diese so wertvollen Projektarbeiter ausgerechnet zu ihm kommen? Die Unternehmen in den Metropolregionen haben es einfacher als in ländlichen Regionen, diese Projektarbeiter anzuziehen, weil es diese Arbeitnehmer von ihrer Lebenssituation her stärker in große Städte zieht.
Und was sind demgegenüber Caring Companies?
Jánszky: Wenn ich jetzt nicht in einer Großstadt sitze, sondern beispielsweise in Hohenlohe, brauche ich eine andere Strategie. Ich kann als Unternehmer nicht davon ausgehen, dass jemand, der gerade zwei Jahre in Hamburg war, zu mir nach Hohenlohe kommt, dort ein Jahr lang bleibt, und dann nach München weiterzieht. Das kann im Einzelfall vorkommen, ist aber unwahrscheinlich. Ein Hohenloher Unternehmen muss genau diejenigen finden, die bereit sind, zu ihm zu kommen und sie dann festzuhalten. Und alles dafür zu tun, dass diese Leute nicht nach einem Jahr wieder weg sind.
Aus Nomaden also „Sesshafte“ zu machen?
Jánszky: Das projektbezogene Denken dieser Menschen ändert man nicht so einfach. Solche Arbeitnehmer bleiben nach wie vor bereit, mit einem Headhunter zu sprechen und sich andere Angebote anzuhören. Aber die Kosten, wieder wegzuziehen aus der Region, sind unter bestimmten Voraussetzungen höher als der Nutzen. Caring Companies versuchen, die empfundenen Kosten zu erhöhen, indem sie es als Unternehmen oder als Unternehmensverbund – wenn sie alle an einem Standort sitzen, kann man sich zusammentun – schaffen, etwas zu bieten, was wir in unseren Studien das „Corporate Life“ nennen. Das kann ganz verschiedene Angebote umfassen, etwa den betriebseigene Privatschule, wo die Kinder der Mitarbeiter ein bessere Bildung erhalten als an einer staatlichen Schule. Oder den unternehmenseigenen Pflegedienst, der wo die bedürftigen Eltern eine bessere Pflege erhalten. Oder Kultur- und Sportmöglichkeiten im Unternehmen, oder Wohnraum. Caring Companies bauen Bindungen auf – in das soziale Leben der Mitarbeiter hinein. Wenn dann ein Headhunter anruft und diese Menschen ködern will mit „Großstadt“ und „besserer Verdienst“, stellt sich bei den Mitarbeitern, die ja vom Denken her immer noch Projektarbeiter sind, die Frage: „Wenn das bedeutet, dass meine Eltern den Pflegedienst wechseln und meine Kinder umgeschult werden müssen, bleibe ich lieber hier.“
Und wie wird sich angesichts dieser Dynamik der Einstellungsprozess von Mitarbeitern wandeln?
Jánszky: Wenn die Annahme stimmt, das wir künftig fünf bis sechs Millionen nicht besetzte Stellen haben, weil es die passenden Leute in Deutschland einfach nicht gibt, dann wird sich bei der Mehrzahl der Unternehmen auf eine Stellenausschreibung genau keiner bewerben. Die Unternehmen werden sich bei den Arbeitnehmern bewerben müssen. Und die Verantwortung wandert von der HR-Abteilung in die Führungsebene des Unternehmens, das in seinem Netzwerk passende Personen direkt anspricht. Kurz gesagt: Die Art, wie Personalgewinnung stattfindet wird eine andere. Zweitens wird die Situation entstehen, dass Unternehmen zum Beispiel eine Mitarbeiterin einstellen müssen, die nicht hundertprozentig zum Anforderungsprofil passt. Wer aber ausschließlich Menschen ins Unternehmen holt, die nicht perfekt zur Stelle passen, muss intern Aufgaben umstellen. Derjenige wird die Bewerberin trotzdem nehmen, aber er muss den Tätigkeitsbereich ändern, muss bei dem Job des einen Mitarbeiters eine „Ecke abschneiden“ und sie bei einer anderen Person hinzufügen, und dort wiederum Aufgaben wegnehmen und woanders hin verteilen. Es wird eine permanente Fluktuation von Tätigkeiten stattfinden. Das ist aufwändig. Ich habe noch keinen Unternehmer getroffen, der sich das wünscht. Aber es kommt trotzdem, es die Folge des Fachkräftemangels.
Die HR-Profis werden also zu Jongleuren, ihre Arbeit bekommt mehr Management-Charakter als bislang? Und für das Alltagsgeschäft – zum Beispiel den Abgleich, zu wieviel Prozent ein Bewerber ein Profil erfüllt – könnte künftig eine KI übernehmen?
Jánszky: Genau. Einen Schritt weiter gedacht, könnte KI dieses Managen und Jonglieren unterstützen. Moderne Kompetenz-Messsysteme gibt es ja schon. Sie werden sich weiterentwickeln, und wenn wir fünf bis zehn Jahre weiter schauen, werde gerade große Arbeitgeber – Hidden Champions und Weltmarktführer – mit solchen Systemen arbeiten.
Und was sollte das Ziel der Unternehmen in den kommenden fünf bis zehn Jahren sein, um Bewerbern den „Arbeitsplatz der Zukunft“ zu bieten?
Jánszky: Das Ziel der Unternehmen muss sein, erstens für ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein Karriere-Sprungbrett zu werden. Zu erkennen, dass es höchst wahrscheinlich ist, dass Mitarbeiter nur einen Abschnitt ihres Berufsweges beim jeweiligen Unternehmen verbringen. Ihnen diesen Abschnitt so toll wie möglich zu gestalten, damit sie so stark wie möglich persönlich wachsen, muss das Ziel sein. Die Unternehmen sollten in die Weiterentwicklung der Arbeitnehmer investieren. Damit sie, wenn sie weggehen, später bereit ist, wieder zurückzukommen. Es muss eine Anziehen-Abstoßen-Taktik entwickeln, etwa durch regelmäßigen Kontakt und ein Alumni-Netzwerk. Die Gruppe der Langzeitangestellten ist es wichtig, sie zur permanenten Veränderung – dem erwähnten Wegschneiden und Ändern von Tätigkeitsfeldern – zu befähigen.
Unternehmen sollten also zu „fluidem Denken“ befähigen?
Jánszky: Ja. Die wichtigste Kompetenz der Zukunft ist das Vergessen. Der Mensch funktioniert zu weit über 90 Prozent über unterbewusste, automatisierte Denk- und Verhaltensmuster. Aber es gibt Methoden, um diese „Programme“ aus dem Unterbewusstsein zu verbannen und neue Muster anzunehmen. Das Vergessen von dem, was wir nicht mehr benötigen, und die Offenheit für Neues ist die Kompetenz, die Arbeitgeber in Zukunft fördern sollten. Veränderungen müssen als etwas völlig Normales und Schönes begriffen werden. Dafür ist der Mensch, anpassungsfähig wie er ist, am besten geschaffen. Wir können das wirklich gut.
Zur Person
Sven Gábor Jánszky gehört zu den bekanntesten Zukunftsforschern und gefragtesten Speakern in Europa. Er ist Chairman des größten deutschsprachigen Zukunftsforschungsinstituts „2bAhead“. Unter https://2bahead.com/downloads/backcasting-guide können sich Unternehmen den aktuellen Zukunfts-Ratgeber für nachhaltiges Wachstum downloaden. Sven Gábor Jánsky wuchs in Budapest und im Osten Deutschlands auf. Nach dem Abitur wurde er zunächst Journalist – als damals jüngster Nachrichtenchef der ARD. Für die Zukunftsforschung kündigte er seinen Lebenszeitvertrag. Er veröffentlichte unter anderem das Buch „2030 – Dein Weg zum Zukunfts-ICH“ und gibt Trendanalysen zu Zukunftsszenarien heraus, etwa zu Führung, Arbeitswelt und Umwelt.
Interview von Natalie Kotowski

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