Wer ein Unternehmen nachhaltig und weitsichtig führt, ist auch ökonomisch im Vorteil, sagt Andreas Huber, Mitglied und Geschäftsführer des „Club of Rome Deutschland“. Im Interview warnt er vor Rückwärtsgewandtheit und bekannten Narrativen – und appelliert an Wirtschaft und Politik, neue Perspektiven einzunehmen.
Herr Huber, eine Ihrer Keynotes trägt den Titel: „Vom Standpunkt zur Weitsicht: Warum zukunftsfähiges Denken auch ökonomisch sinnvoll ist“. Inwiefern bringt Weitsicht Gewinn?
Andreas Huber: Ein Unternehmen zu führen heißt auch strategisch und operativ zu planen – etwas, das zunehmend schwieriger wird. Wir leben in einer Zeit, die uns öfter mit sogenannten „Schwarzen Schwänen“ konfrontiert: extreme Wetterereignisse, steigende Energiepreise oder eine Pandemie. Es geht mir also nicht um Gewinnmaximierung, sondern vielmehr darum, zu erkennen, dass die Rahmenbedingungen, die Geschäftsmodelle jahrzehntelang getragen haben, sich plötzlich verändern können und vorzubeugen.
Was bedeutet es denn, ein Unternehmen weitsichtig zu führen?
Huber: Vorbereitet sein – nicht für jede Eventualität, sondern vielmehr mental. Wer das Unwahrscheinliche kategorisch ausschließt, reagiert auf negative Überraschungen oft mit negativen Gefühlen und Überforderung. Flexibles Denken, kreatives Potenzial und vor allem die Führung von Menschen sind dann sehr schwer. Das geht für mich weit über Nachhaltigkeit hinaus. Neue Herausforderungen brauchen neue Antworten, sonst bedrohen sie langfristig unseren Wohlstand. In meinen Leadership-Vorträgen ermutige ich besonders Nachwuchsführungskräfte, innezuhalten, Prozesse und Gegebenheiten auch mal zu hinterfragen: warum so und nicht anders? Es war und ist die Neugier, die uns als Menschheit voranbringt. Leider belohnen wir das meist nicht in unseren Systemen. Viele mittelständischen Unternehmen sind darin aber bereits deutlich weiter als die großen Konzerne.
Gibt es Unternehmen oder Branchen, für die mehr Nachhaltigkeit schwer umsetzbar ist – weil sich das Geschäftsmodell oder ihr Produkt nicht einfach verändern lassen, die notwendigen Technologien noch nicht existieren oder der Markt nicht bereit ist – oder halten Sie diese Argumentation für vorgeschoben?
Huber: (lacht) Ist das eine Fangfrage? Realistisch betrachtet kann nicht jedes Geschäftsmodell einfach „nachhaltig“ werden. Andererseits wird das Argument aber von manchen tatsächlich vorgeschoben – vor allem, wenn betont wird, dass es zu schnell gehe. Diese Situation haben wir nur, weil zu lange ohne die vorhin angesprochene Weitsicht agiert wurde: Neben ökologischen Notwendigkeiten wurde auch verkannt, dass sich die Welt nicht an uns orientiert. Am Beispiel der Autoindustrie: Zu lange haben wir mit Lungenärzten über Feinstaub diskutiert, während die relevante Frage lautete: Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Angeführt von den „Großen“, hätte sich Deutschland mit seinem Mittelstand und seiner Ingenieurskunst an die Spitze stellen können und müssen. Es war immer das Zusammenspiel mit dem Mittelstand, das Deutschland in der Welt einzigartig gemacht hat. Das ist gerade massiv gefährdet.
Was müsste sich ändern, um solche Unternehmen wachzurütteln?
Huber: Vor der Wahl Donald Trumps hätte ich geantwortet: Vielleicht löst der Markt diese Frage von selbst. Irgendwann hätten sich bestimmte Geschäftsmodelle einfach nicht mehr rentiert, etwa durch die Internalisierung von Umweltkosten. Natürlich hängt nicht alles an den USA, aber die Populisten erstarken ja auch in Europa – und aktuell beobachte ich vor allem, dass die Parteien „der Mitte“ diese spalterische und destruktive Kommunikation übernehmen. Wie wollen wir denn so einen eingeschlagenen Weg langfristig durchhalten, ohne dass uns die Gesellschaft um die Ohren fliegt? Hier braucht es klare Signale, auch der Unternehmen: So nicht! Es ist wichtiger denn je, nicht zu warten, bis alle „wach“ sind. Vielmehr sollten die, die schon auf dem Weg sind – und das sind viele – ihre Bereitschaft für Veränderungen erhöhen. Das wird Impulse geben, die den Wandel befördern. Mut statt Angst.
Anders herum gefragt: Fallen Ihnen Beispiele ein, wo die Unternehmensführung verstanden und vielleicht sogar entsprechend zukunftsweisend gehandelt hat?
Huber: Ja. Bei internen Veranstaltungen, zum Beispiel Strategieworkshops oder Führungskräftetagungen, erhalte ich Einblicke, die weit über die Strategie auf dem Papier hinausgehen. Genau aus dem Grund kann und möchte ich aber auch keine konkreten Beispiele nennen. Es waren aber tatsächlich gleich drei mittelständische Unternehmen – eines davon auch in Baden-Württemberg – in diesem Jahr, bei denen ich gesehen habe, dass das, was da erarbeitet wird, auch wirklich mit einer persönlichen Motivation und vor allem einer progressiveren Haltung der Führungskräfte vorangetrieben wird.
Mein persönlicher Eindruck ist: In den meisten Unternehmen ist eine Transformation hin zur Nachhaltigkeit längst auf der Agenda. Es wird investiert: in Photovoltaik-Anlagen auf Bürodächern und Parkhäusern. Da wird dekarbonisiert. Ist das genug?
Huber: War es für Nokia genug, das Handy „zu erfinden“? Ich glaube wir werden in 25 Jahren zurückblicken und uns fragen, warum wir nicht größer gedacht haben. Die Schritte, die heute unternommen werden, sind wichtig. Aber sie werden nicht das Ende der Entwicklung sein.
Fehlt uns die Vorstellungskraft?
Huber: Unser Gehirn funktioniert so, dass wir immer denken, mit dem jetzigen Stand des Wissens und der Technik die künftigen Probleme lösen zu müssen. Wir sind nicht in der Lage zu erkennen, was noch alles kommt. Deshalb ist meine Antwort: Nein. Der Ist-Zustand wird nicht genug sein. Gerade, wenn ich daran denke, wie wichtig es sein wird eine echte Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Oder beim Thema Deep Learning. Viele mittelständische Unternehmen fangen gerade richtig an, das Potential durch Wissensaustausch oder strategische Partnerschaften zu schöpfen.
Sie stammen aus der Nähe von Tuttlingen und leben heute mit Ihrer Familie wieder auf der Schwäbischen Alb. Kommt Ihnen die Welt im ländlichen Raum heiler vor als in den Metropolen?
Huber: Für meine Frau und mich war immer klar: Unsere Kinder sollen ebenso wie wir beide das Gefühl der „Verwurzelung“ haben dürfen. Es ist die Nähe und Verbundenheit, die Solidarität zwischen den Menschen über Generationen hinweg, die den Unterschied macht. Heiler ist die Welt hier deshalb zwar nicht. Aber man fühlt sich anders. Aufgehobener. Etwas, das Menschen vielleicht ja auch in mittelständischen Unternehmen spüren, insbesondere wenn schon Eltern oder gar Großeltern dort gearbeitet haben.
Tatsächlich kann von heiler Welt wohl kaum die Rede sein: Der Club of Rome hat in seiner aktuellen Studie „Earth for all Deutschland“ drei Herkulesaufgaben benannt, die unser Land parallel zu lösen hat: die deutsche Wirtschaft retten, ein würdevolles Leben für alle ermöglichen und den Klimawandel stoppen. Die Autoren sagen zuversichtlich: Alle drei Herausforderungen sind überwindbar. Welche Lösung gibt es aus Ihrer Sicht?
Huber: Der Club of Rome hat diese Aufgaben nicht benannt. Er hat sich ihrer angenommen und anhand eines komplexen systemischen Modells gezeigt: Die Herausforderungen stehen überhaupt nicht im Widerspruch zueinander. Im Gegenteil: Wenn alle drei mit einer gemeinsamen, ineinandergreifenden Strategie angegangen werden, können sie sich gegenseitig stärken. Jede Wende für sich allein stehend würde hingegen scheitern. Vielleicht sollten wir das jetzt kurz vor den Neuwahlen aufgreifen und überlegen, ob es nicht Zeit wäre, neue Wege zu gehen, statt den bekannten und oft wiederholten Narrativen zu glauben.
Sie sagen, Nachhaltigkeit beginne für Sie mit der Frage „Wer will ich sein?“ Sollten sich diese Frage demnach auch Unternehmensführungen stellen?
Huber: Ja. Wir sind alle Menschen und haben einen gewissen Kontext, in dem wir wirken. Je größer der Wirkungskreis, desto größer ist die Verantwortung. Ich habe lange Zeit Ferdinand Piëch als Negativ-Beispiel angeführt, wenn es um das Thema „Verhinderung oder Veränderung“ ging. Verhindere ich zu lange und versuche das aktuell Funktionierende möglichst lang zu erhalten, hat das Einfluss auf die Ingenieure, die Ausbildung, die Forschung und Entwicklung, die Zulieferer und mehr. Gerade mittelständische Unternehmen haben oftmals eine besondere Verantwortung, da sie das Herzstück einer ganzen Region darstellen.
Und was antworten Sie sich selbst auf die Frage „Wer will ich sein“?
Huber: Ein positiver Mensch, der auch in schwierigsten Momenten erkennt, dass es ihm trotz allem besser geht als den restlichen 80 Prozent der Welt – und der diese Erkenntnis als Verantwortung sieht. Ich kann nicht die Welt verändern, aber auf mein Umfeld habe ich eine Wirkung.
Als Ihren persönlichen Weckruf bezeichnen Sie einen Vortrag des Club of Rome-Mitglieds Prof. Dr. Radermacher während Ihres Wirtschaftsrecht-Studiums. Wer wollten Sie vor diesem Schlüsselerlebnis sein?
Huber: Das weiß ich tatsächlich nicht. Anders als heute, hatte ich kein wirkliches „Selbst-Bewusstsein“ und kein zugehöriges Wertegerüst. Mir ist das passiert, was vermutlich Millionen Menschen passiert in ihrem Leben: Geprägt von meinem Umfeld, gesteuert von dessen Erwartungen sowie eigenen inneren Ängsten, habe ich Entscheidungen getroffen, ohne zu wissen, wer ich eigentlich bin, wofür ich einstehe, was ich wertschätze oder was ich eigentlich bewirken will.
Welche Botschaft von Prof. Dr. Radermacher hat Sie so wachgerüttelt, dass Sie nach dem Studium beim Club of Rome als Praktikant begannen, mit 32 Jahren dort Geschäftsführer wurden und inzwischen selbst Mitglied sind?
Huber: Darüber habe ich schon oft nachgedacht. Heute weiß ich, dass ich einen unglaublich stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn habe. Und da hat sein Vortrag einen Nerv getroffen. Ich habe nicht nur gehört, sondern wirklich gespürt, dass etwas völlig falsch läuft. Das ließ mir keine Ruhe mehr. Heute glaube ich allerdings nicht mehr an die globalen Lösungen, die er damals propagiert hat. Das Hoffen, dass irgendjemand „den Plan“ hat und die Rettung unserer Zivilisation übernimmt, ist für mich sogar ein Verkennen der eigenen individuellen Verantwortung und unserer eigenen Möglichkeiten.
Vermutlich wünschen Sie sich als Vater, dass Ihre vierjährigen Zwillinge nicht erst an der Uni einen persönlichen Weckruf hören. Wie leben Sie Ihnen Verantwortung und Selbstwirksamkeit vor?
Huber: Ich hoffe darauf, dass sie für sich erkennen können, dass sie ihr eigenes Leben gestalten und leben können. Das heißt, der oberste Wert meinen Kindern gegenüber ist vermutlich Respekt vor deren Individualität. Mir persönlich sind Demut – darin steckt auch Mut – sowie Empathie und Verbundenheit wichtig. Und ich schenke nicht gerne, ich überrasche lieber. Denn eines musste ich lernen: Das Leben schenkt dir nichts, aber es kann dich überraschen.
Sind Sie ein Optimist, Herr Huber?
Huber: Ich sage immer: Ich bin ein realistischer Träumer. Ich sehe, wie schwierig die Situation ist. Global wie national. Aber ich weigere mich, zu resignieren oder den Glauben daran zu verlieren, dass jeder und jede von uns einen Beitrag leisten kann und wir einen echten Wandel und eine positivere Zukunft erschaffen können.
Zur Person
Andreas Huber ist Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft Club of Rome, einem Zusammenschluss von Experten verschiedener Disziplinen aus mehr als 30 Ländern, Die gemeinnützige Organisation setzt sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit ein. Der studierte Wirtschaftsjurist kämpft seit mehr als 15 Jahren als Keynote-Speaker für Nachhaltigkeit und Wandel: www.andreas-huber.org.
Interview: Natalie Kotowski