Der Forschungsstandort Heilbronn der Fraunhofer-Gesellschaft wird mit der Förderung der Dieter Schwarz Stiftung erheblich erweitert, um bei Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz ganz vorn dabei zu sein. Das amerikanische „Stargate“-Projekt darf dabei durchaus als Maßstab dienen, sagt Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer IAO.

Herr Prof. Dr. Bauer, nachdem die USA nach dem Regierungswechsel eine massive KI-Offensive angekündigt hat, kommt der Ausbau des Forschungsstandorts Heilbronn der Fraunhofer-Gesellschaft und der Dieter Schwarz Stiftung zum exakt richtigen Zeitpunkt. Wie bewerten Sie diese Ankündigungen?
Prof. Dr. Wilhelm Bauer: Die Ankündigung der amerikanischen Administration ist schon ernst zu nehmen, auch wenn Elon Musk etwas verhalten darauf reagiert hat – das ist aber eher der Historie der Firma OpenAI zu verdanken. Und nicht alles, was in den jetzt angekündigten 500 Milliarden US-Dollar enthalten ist, stammt aus neuen Initiativen. In dieser Ankündigung schwingt etwas Trump’sches Gehabe mit. Aber eines zeigt dieses Announcement doch mehr als deutlich: KI ist eine Gegenwarts- und Zukunftstechnologie, die allerhöchste Beachtung verdient. Insofern ist es in der Tat ein mehr als passender Zeitpunkt dafür, noch stärker in das Thema KI zu investieren – und das hat die Dieter Schwarz Stiftung jetzt auch mit der sehr signifikanten Förderzusage für die Fraunhofer-Gesellschaft getan. Mit den Fraunhofer Heilbronn Forschungs- und Innovationszentren (Fraunhofer HNFIZ) wollen wir in den kommenden Jahren massiv dazu beitragen, dass KI-Lösungen zum Nutzen von Wirtschaft und Gesellschaft schnell vorankommen.
„KI ist eine Gegenwarts- und Zukunftstechnologie, die allerhöchste Beachtung verdient.“
Prof. Dr. Wilhelm Bauer
Wie groß ist der Nachholbedarf bei Digitalisierung und KI aus Ihrer Sicht im internationalen Vergleich?
Bauer: Wir sind – das sagen alle Statistiken – nicht ganz so schlecht, wie es viele denken und sagen. Wir sind aber eben auch nicht so gut, wie es notwendig wäre. Und vor allem: Wir sind viel zu langsam in der Umsetzung, in der Transformation hin zu einer digitalen Gesellschaft und auch Wirtschaft. Das hat mit unserer überbordenden Regulierung zu tun, ist aber auch Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Grundhaltung, in der Technikbegeisterung nicht gerade ausgeprägt ist. Wir müssen hier deutlich schneller und besser werden.
Tatsächlich heißt es oft, dass in Deutschland KI-Forschung skeptisch betrachtet und ausgebremst wird. Empfinden Sie das auch so?
Bauer: Wir in Deutschland und eigentlich auch einige andere Länder in Europa sind wohl etwas grundskeptisch Neuerungen gegenüber. Das gilt auch für KI. Ich denke, wir brauchen mehr Forschung, wir brauchen aber auch mehr Investitionen in KI-Systeme und -lösungen. Hier kann das Stargate-Projekt der USA schon als Maßstab dienen und helfen, bei uns auch alle Kräfte zu bündeln.
Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die EU-Verordnung zu KI?
Bauer: Mit der Verabschiedung der KI-Verordnung der EU, dem EU AI Act, treten wichtige regulatorische Anforderungen für den Einsatz von KI in Kraft. Diese betreffen sowohl eine Vielzahl von KI-Systemen als auch die Organisationen, welche diese entwickeln und einsetzen. Für Unternehmen kommt es nun darauf an, die Übergangsfrist dafür zu nutzen, die regulatorischen Anforderungen effizient und möglichst pragmatisch umzusetzen. Wenn uns das gelingt und wir uns nicht im Paragrafen-Dschungel verirren, dann können wir sicherlich auch die Menschen für dieses Thema gewinnen.
„Aus meiner Sicht ist Heilbronn ein sehr gutes Beispiel für ein gedeihliches Zusammenwirken der Aktivitäten von Unternehmen, Politik und privaten Initiativen.“
Prof. Dr. Wilhelm Bauer
Welche Rolle spielt Heilbronn mit dem Ausbau der Forschungsstandorte für Zukunftstechnologien in Deutschland?
Bauer: Heilbronn ist in den letzten Jahren zu einem echten Hotspot der Entwicklung rund um die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz geworden. Die Ambitionen sind erheblich – und die Investitionen auch. Aus meiner Sicht ist Heilbronn ein sehr gutes Beispiel für ein gedeihliches Zusammenwirken der Aktivitäten von Unternehmen, Politik und privaten Initiativen. Mit dem Ipai, dem Innovationspark für Künstliche Intelligenz, wird das Zusammenwirken dieser Akteursgruppen gut sichtbar, das ist aus meiner Sicht ein Win-Win für alle Seiten.
Profitieren Unternehmen in der Region Heilbronn-Franken vom Ausbau des Forschungsstandortes Heilbronn?
Bauer: Aus meiner Sicht ganz erheblich. Erstens werden am Standort mit dem bedeutenden Ausbau der Lehrkapazitäten immer mehr junge Menschen angelockt und hier ausgebildet bis zum Abschluss. Viele von ihnen werden dann auch in der Region bleiben und in den Unternehmen tätig werden. Das ist Gold wert für die Unternehmen in der Region. Mit unserem Engagement seitens Fraunhofer stärken auch wir den Standort, denn wir stellen in der Region Menschen ein, die bei uns forschen, gegebenenfalls promovieren und danach häufig in wie Wirtschaft wechseln. Darüber hinaus profitieren Unternehmen auch ganz direkt von der Forschungskapazität am Standort, nämlich mit der gemeinsamen Durchführung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten, die dann in marktfähige Innovation umgesetzt werden. Es gibt eine ganze Reihe konkreter gemeinsamer Projekte, die wir aktuell bearbeiten und auch in den letzten Jahren schon abgeschlossen haben. Wir führen gemeinsame Forschungsprojekte mit Unternehmen aus dem Automobilbereich, dem Maschinen- und Anlagenbau, dem Handel, der Baubranche und vielen anderen durch. Das macht ja Fraunhofer aus, dass wir sogenannte angewandte Forschung machen: der Transfer in die Wirtschaft ist die DNA von Fraunhofer.
„Wir setzen hier ein deutliches Zeichen für die Zukunft der Region, für das ganze Land und auch für Europa.“
Prof. Dr. Wilhelm Bauer
Setzt die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihren verschiedenen Instituten mit diesem Standortausbau also ein Zeichen?
Bauer: Ja, wir setzen hier ein deutliches Zeichen für die Zukunft der Region, für das ganze Land und auch für Europa. Die Fraunhofer Heilbronn Forschungs- und Innovationszentren HNFIZ werden sich auf zukunftsrelevante Schlüsseltechnologien und die Verwertung der gewonnenen Forschungsergebnisse in der Wirtschaft fokussieren. Damit werden sie eine Lücke schließen und eine tragende Rolle im Innovationssystem der Bundesrepublik einnehmen.
Die HNFIZ könnten also für Europa ein „Tor zu den Sternen“ neuer Wirtschaftskraft sein?
Bauer: In aller Bescheidenheit: Wir wollen ein starker Impulsgeber sein, der vor allem in die Wirtschaft hinein wirksam wird, aber auch in der Gesellschaft seine Wirkung erzeugt. Die Fraunhofer-Gesellschaft hat in ihrer Geschichte immer wieder bewiesen, dass sie auf Veränderungen nicht nur reagiert, sondern sie aktiv gestaltet. Unsere Fähigkeit, flexibel und anpassungsfähig zu bleiben, gepaart mit der Konzentration auf unsere Stärken, ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Die einzelnen Forschungs- und Innovationszentren sowie der Standort Heilbronn als Ganzes werden als Zentrum für werteorientierte Wertschöpfung ein starkes Signal von Heilbronn nach Europa und in die Welt senden.
„Wenn wir Mut beweisen, das Neue mehr zu lieben als zu fürchten, wenn wir unsere verfügbaren finanziellen Möglichkeiten bündeln, wenn wir weniger regulieren und wieder mehr innovieren, dann können wir ganz vorne mit dabei sein beim Zukunftsthema KI.“
Prof. Dr. Wilhelm Bauer
Wie hoch sind die Chancen, dass Deutschland beim Thema KI aufholt und vielleicht sogar Weltspitze wird?
Bauer: Das ist sehr schwer zu sagen. Ich bin ein Grundoptimist. Und ich bin mir ganz sicher: Wenn wir Mut beweisen, das Neue mehr zu lieben als zu fürchten, wenn wir unsere verfügbaren finanziellen Möglichkeiten bündeln, wenn wir weniger regulieren und wieder mehr innovieren, dann können wir ganz vorne mit dabei sein beim Zukunftsthema KI. Ich denke aber auch, dass wir die Ärmel hochkrempeln müssen, wieder etwas mehr arbeiten, uns weniger auf dem erreichten Wohlstand ausruhen, Work-Life-Balance vielleicht wieder mit der Gewichtung etwas mehr nach Work balancieren, dann werden wir das schaffen können. Es liegt ganz an uns selbst.

Zur Person
Professor Dr. Wilhelm Bauer ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. Er ist ebenfalls Vorsitzender des Sprecherkreises der Fraunhofer Heilbronn Forschungs- und Innovationszentren HNFIZ. Dank einer neuen Fördervereinbarung mit der Dieter Schwarz Stiftung beschäftigen diese sich künftig mit den Themen Kognitive Dienstleistungssysteme, Future Skills, Innovation & Foresight, Hybride KI, Transformation & Governance, KI-basierte Robotik, Cybersicherheit sowie Anwendungsorientierte Quanten-KI.
Interview von Natalie Kotowski