RAP für Bad Rappenau, NC für Neckarsulm: Städte über 20.000 Einwohner sollen eigene, neue Autokennzeichen verwenden dürfen: Der Heilbronner Hochschulprofessor Ralf Bochert hat in einem Forschungsprojekt gezeigt, dass dies einfach und fast kostenlos umsetzbar ist – und für Unternehmen als Standortwerbung interessant. Nicht zuletzt stellen Autokennzeichen eine Art Heimatgefühl für die Menschen dar.
Für die Menschen im niedersächsischen Cloppenburg muss es wie eine derbe Beleidigung geklungen haben: „CLO“ sollte ihre Heimat auf Autokennzeichen heißen. So war es nach der Einführung des Fahrzeug-Kennzeichensystems für die Bundesrepublik 1956 offiziell vorgesehen. Ein redensartlicher Griff in dasselbe, fanden die Bürger. Sie liefen Sturm gegen die Buchstabenkombination und erkämpften sich das bis heute gültige „CLP“.
Die Anekdote, die der Kennzeichen-Experte Prof. Dr. Ralf Bochert von der Hochschule Heilbronn erzählt, zeigt, dass das Blechschild an Heck und Front schon vor fast 70 Jahren emotional aufgeladen war. Für viele Bürger in den Kommunen ist das Autokennzeichen bis heute mehr persönliches Bekenntnis als notwendige Registratur bei. Im September hat Bochert die Ergebnisse seines Forschungsprojekts „Kennzeichenliberalisierung II. Teil (2024ff)” vorgestellt: Er möchte 320 deutschen Städten und Gemeinden mit über 20.000 Einwohnern eigene, nie dagewesene Kfz-Ortskennungen für ermöglichen. „Die Resonanz auf die Idee ist schon jetzt erstaunlich“, sagt der Heilbronner Professor für VWL und Tourismusmanagement.
Neue Kennzeichen „RAP“, „EP“ und „NC“ im Landkreis Heilbronn?
In Heilbronn-Franken wäre neben Wertheim insbesondere der Landkreis Heilbronn mit seinen drei Mittelstädten Bad Rappenau, Eppingen und Neckarsulm prädestiniert für neue Kennzeichen. Laut der Statistik des Kraftfahrzeugbundesamtes könnten gewerbliche oder private Halter dort dann wählen, ob sie beim altbewährten HN bleiben oder die Zugehörigkeit zu ihrer Wunschstadt in Blechlettern ausdrücken. In den drei letztgenannten Städten sind laut Statistik knapp 86.000 Fahrzeuge betroffen.
„RAP“ wäre nach Bocherts Vorschlag dann nicht mehr nur ein rhythmischer Sprechgesang, sondern könnte das Erkennungsmerkmal von allein in Bad Rappenau mehr als 20.000 Vehikeln werden – vom Motorrad über das Familienauto bis zu Traktoren und Bussen. In Eppingen und Umgebung bekämen mehr als 21.000 gewerbliche und private Fahrzeughalter die Chance auf ein „EP“, und mehr als 44.000 Fahrer aus dem Neckarsulmer Einzugsgebiet könnten unabhängig von ihrem Bildungsabschluss und Numerus Clausus mit einem „NC“ auf dem Kennzeichen cleveren Lokalpatriotismus beweisen.
Ein Instrument für effizientes Stadtmarketing ist das eigene Kennzeichen aus Bocherts Sicht allemal: „Stadtmarketing ist oft aufwändig, da müssen Homepages und Aktionen aufgezogen werden – das ist teuer. Aber dieses Symbol hat den Charme, dass es die Kommunen nichts kostet. Die Bürger zahlen ihr Wunschkennzeichen selbst“, sagt er. Das Kennzeichen HN habe es sogar ins Logo von Heilbronn Marketing geschafft – für ihn ein Paradebeispiel für die Strahlkraft, die ein eigenes Autokennzeichen entwickeln könne. Beziffern kann Bochert einen solchen Bedeutungszuwachs nicht, „aber ganz klar gibt es einen positiven Effekt auf die Wahrnehmung und gefühlte Relevanz von Kommunen mit eigenem Kennzeichen“.
Städte- und Gemeindebund unterstützt die Idee
So sieht es auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB), der sich für die Neuregelung ausgesprochen hat: „Ein eigenes Kennzeichen stärkt die Identifikation mit der Kommune. Zugleich kann damit ein Marketing-Effekt zugunsten einer Stadt oder Gemeinde verbunden sein“, sagte DStGB-Hauptgeschäftsführer André Berghegger kürzlich gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Auch Unternehmen könnten aus Bocherts Sicht von der kostenlosen Standort-Werbung profitieren: „Ich könnte mir vorstellen, dass gerade Unternehmen, die lokal sehr verbunden sind mit ihrer Region, das Kennzeichen für Marketingzwecke nutzen können – nicht nur Stadt-, sondern auch Firmenmarketing.“ Dieses Argument dürfte beispielsweise für viele Firmen mit Sitz in Neckarsulm interessant sein. Dort verzeichnet das Kraftfahrzeugbundesamt überdurchschnittlich viele gewerbliche Halter, sie stellen rund die Hälfte der zugelassenen Fahrzeuge.
Ehemalige Kennzeichen „wiederzubeleben“ ist dem Heilbronner Wissenschaftler im ersten Schritt der Kennzeichenliberalisierung schon geglückt: Bereits vor 14 Jahren hatte seine Projektidee bewirkt, dass zum 1. November 2012 die Fahrzeugzulassungsverordnung geändert wurde. 328 Altkennzeichen wurden seither wieder eingeführt, die Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre der Gebietsreform zum Opfer gefallen und sukzessive von den Straßen verschwunden waren.
Autokennzeichen als Heimatgefühl
Bocherts Studenten hatten damals mehr als 50.000 Personen in 200 ehemaligen Kreisstädten und Gemeinden, die in Folge der Kreisfusionen ihr Buchstabenkürzel verloren hatten, zur Wiedereinführung von „ausgelaufenen“ Altkennzeichen befragt. Mit eindeutigem Ergebnis: 72 Prozent wünschten sich ihr früheres Kennzeichen zurück. Durchschnittlich zehn Euro würden die Befragten für diesen nostalgischen Charme zahlen, ergab die Studie damals. Davon ausgehend, dass Fahrzeughalter auch für ein nie dagewesenes Kennzeichen so viel Geld in die Hand nähmen, entstünde allein im Landkreis Heilbronn ein wirtschaftlicher Zusatznutzen von 860.000 Euro.
Teil Zwei von Bocherts Projekt findet jedenfalls Beifall: Erste Städte und Gemeinden – wie beispielsweise Kamp-Lintfort in Nordrhein-Westfalen – haben bereits im Gemeinderat für neue Schilder votiert. Dass Autofahrern in ein bis zwei Jahren zum Beispiel „RAPper“ auf der Straße entgegenkommen, ist aus Bocherts Sicht nicht unwahrscheinlich. Dafür müsse lediglich die Zulassungsverordnung geändert werden, „das wäre aber im Prinzip simpel“, sagt er. Damit zwei Kennzeichen – etwa HN und NC im Landkreis Heilbronn – zur Verfügung stünden, müssten lediglich zwei Bedingungen erfüllt sein: „Entweder die Kennzeichen müssen vor 2012 schon existiert haben. Oder man interpretiert die Verordnung so, dass bereits zu viele Wunschkennzeichen vergeben sind“, erläutert er. Dieser Fall war in München eingetreten. Dort ist inzwischen auch „MUC“ zulässig – es habe schlicht nicht mehr genug freie Kombinationen mit dem bewährten „M“ gegeben.
Es geht ums Herz, um Identifikation und Heimat
Kommunen können laut Bochert schon heute beschließen, gemeinsam mit anderen Städten neue Kennzeichen im Berliner Verkehrsministerium zu fordern. Wenn genügend Bundesländer mitzögen – wie damals bei den Altkennzeichen – komme es zu einem entsprechenden Bundesratsbeschluss.
Und auch wenn Kommunen wahrscheinlich aktuell andere Sorgen als Nummernschilder hätten – Kennzeichen-Experte Bochert ist überzeugt, dass das Autokennzeichen als Heimatgefühl die Menschen bewegt: „Hier geht es ausnahmsweise mal ums Herz, um Identifikation und Heimat, ohne dass Kosten entstehen.“
Natalie Kotowski