Wie sollen Unternehmen werben, wenn Kunden nicht mehr wissen, welchen Botschaften sie vertrauen können? Das diskutieren Isabelle Schnellbügel und Franziska Duerl, Vorständinnen des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen GWA und Sprecherinnen des GWA The Strategy Collective, in ihrem Gastbeitrag.

Noch vor ein paar Jahren gab es eine Grundlage, auf die Menschen sich gemeinhin verständigen konnten, und das waren Fakten. In den vergangenen Jahren hat sich das jedoch zunehmend verändert. Heute spielt das Faktische oft keine Rolle mehr – sei es im politischen Diskurs, auf sozialen Plattformen oder durch den flächendeckenden Einzug von Artificial Intelligence (AI).
Mehr als die Hälfte der Menschen stellen die Authentizität von Online-Inhalten bereits infrage, so ein Ergebnis der Untersuchung „Life Trends 2025” von Accenture Song. Die Kernfragen von Konsumenten sind mittlerweile: Kann ich dem, was ich sehe, vertrauen? Ist das alles überhaupt echt?
Kollektives Misstrauen als Risiko für Unternehmen
Für unsere Gesellschaft und unsere Branche resultiert daraus die kollektive Sorge um einen verlässlichen Realitätsbezug. Für Unternehmen erwächst daraus ein großes Risiko. Denn einerseits fördert das aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Klima eine skeptische, abwartende, risikoaverse Haltung bei den Unternehmen selbst – und das hat bereits in der Vergangenheit Investitionen, Innovation und Wachstum gebremst.
Andererseits beeinflussen diese Entwicklungen auch Konsumentinnen und Konsumenten: Neben den ungünstigen ökonomischen Voraussetzungen führt die Unsicherheit, falsche Entscheidungen zu treffen, zu zusätzlichem Zögern bei Kaufentscheidungen. Der Vertrauensverlust von Konsumenten in digitale Inhalte und damit auch in die von Unternehmen bereitgestellten Informationen ist durchaus Grund zur Sorge.
Mehr denn je müssen Unternehmen jetzt Vertrauensbildung an jedem Touchpoint, in jeder Interaktion zur Priorität machen. Mehr noch: Als Werbetreibende sollten sie hinterfragen, an welchen Touchpoints sie heute überhaupt präsent sein wollen. Letztlich kulminiert der Handlungsaufruf für alle Werbetreibende darin, Verantwortung zu übernehmen – für die eigenen Entscheidungen, für die Angebote, die wir Kunden machen, und für die Art und den Ort der Kommunikation. Ethische Fragen rücken wieder klar in den Vordergrund.
Künstliche Intelligenz als schärfstes Werkzeug unserer Zeit
Verstärkt wird diese für Unternehmen so riskante Entwicklung durch zwei weitere Faktoren. Erstens: Der aktuell drohende Backlash beim Thema Diversity führt dazu, dass die Ära der Haltungskommunikation in eine neue Phase eintritt: vom Applaus zur Abrechnung. Besonders beim Thema DEI&B (Diversität, Gleichstellung, Inklusion und Zugehörigkeit) kippt der Ton – von einer erhofften gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit zur kulturellen Reizfläche. Doch dieser Backlash ist keineswegs ein Ende von Haltung. Er ist der Stresstest ihrer Echtheit. Zu viele Marken haben Haltung bislang als Kampagne verstanden, nicht als Struktur. Als Message, nicht als Mission. Und so wurde Haltung angreifbar – austauschbar, anbiedernd, nicht belastbar.
Der zweite, uns alle herausfordernde Faktor ist die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI). KI ist das schärfste Werkzeug unserer Zeit. Und sie ist das gefährlichste, wenn sie führungslos bleibt. In Marketing und Kommunikation wird KI so zur doppelten Kraft: Sie demokratisiert Kreativität und Innovation, beschleunigt Prozesse, generiert Content in Sekundenschnelle. Aber sie kann auch Echtheit simulieren, Vertrauen unterminieren, Realität verzerren.
Isabelle Schnellbügel & Franziska Duerl
Info
Isabelle Schnellbügel und Franziska Duerl sind im Vorstand des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen GWA e.V. und Sprecherinnen des GWA Forums „The Strategy Collective“.


