Neues Chip-Forschungszentrum im Heilbronner Innovationspark Künstliche Intelligenz (Ipai)

Der jüngste Coup, die Ansiedlung des belgischen Chip-Forschungszentrums Imec am Ipai, könnte als Gamechanger für Heilbronn-Franken einen Innovationsschub bringen und die Erfolgsgeschichte der Region weiterführen, die es dank Weltmarktführern und Hidden Champions seit vielen Jahren schreibt.

Gamechanger für Heilbronn-Franken
Top auf dem internationalen Spielfeld: Mit der Ansiedlung des Imec am Ipai ist ein „großer Wurf“ für die Region gelungen. Für die Wirtschaftskraft sind in der Vergangenheit Weltmarktführer und Traditionsunternehmen ebenfalls Gamechanger für Heilbronn-Franken gewesen. Foto: AdobeStock/DOC RABE Media

Ein Würfel kann bei Mensch-ärgere-Dich-nicht zum Gamechanger werden: Zeigt er die passende Augenzahl, wirft man einen anderen Mitspieler „raus“. Oder man schafft es ins rettende Ziel. Ein gelungener Wurf kann alles verändern. Gamechanger – das können Personen, Situationen, Technologien oder eben Gegenstände wie der Würfel beim Mensch-ärgere-Dich-nicht sein: Wenn sie wirken, ist wieder alles offen, dann ergeben sich Chancen.

Genau das ist vor Kurzem passiert: Ein Gamechanger für Heilbronn Franken, mit dem die Karten für den Standort neu gemischt wurden. Das neue Blatt wirkt vielversprechend. Denn mit der geplanten Ansiedlung des weltweit führenden Forschungszentrums Imec im Innovationspark Künstliche Intelligenz (Ipai) in Heilbronn „wird unsere Region zum internationalen Leuchtturm für High-Tech-Innovation“, wie es seitens der Wirtschaftsförderung Heilbronn-Franken (WHF) enthusiastisch heißt. Das neue Zentrum sei ein Gamechanger für die Automobilindustrie, solle den Wandel von traditionellen Chip-Technologien hin zu Chiplet-basierten Rechenarchitekturen tragen. „Wir sind begeistert, unser Fachwissen und unser globales Partnernetzwerk nach Baden-Württemberg zu bringen – der Wiege der Automobilindustrie in Deutschland“, sagt Luc Van den hove, Präsident und CEO des belgischen Forschungs- und Innovationszentrum für Nanoelektronik und digitale Technologien, das weltweit führend ist.

Beste Voraussetzungen für Imec in Heilbronn-Franken

70 hochqualifizierte Arbeitsplätze sollen in den Ipai Spaces entstehen – wovon sich die Beteiligten einen großen Wurf für die gesamte Region Heilbronn-Franken erhoffen: das Chip-Ökosystem könnte Fachkräfte anziehen, Investitionen in Infrastruktur ermöglichen und Lebensqualität steigern. Und vor allem: die Wirtschaftskraft stärken und den Erfindergeist der Unternehmen beflügeln. „Imec wird im Heilbronner Ökosystem und bei Ipai die besten Voraussetzungen vorfinden, um sich mit führenden Institutionen, KMUs, Hidden Champions und Weltmarktführern auszutauschen und damit neue Chancen und Möglichkeiten für zukünftige Innovationen ‚made in Europe‘ zu schaffen“, prognostiziert Moritz Gräter, CEO bei Ipai.

Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg wird das Kompetenzzentrum mit 40 Millionen Euro über zunächst fünf Jahre finanzieren. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) bringt die Bedeutung des Innovations-Schachzugs auf den Punkt: „Die Stärkung unserer Kernkompetenzen in Chips, Software und Künstlicher Intelligenz ist entscheidend für Europas Souveränität.“ Gemeinsam mit Partnern wie etwa der Fraunhofer-Gesellschaft, dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und weiteren Partnern aus Wissenschaft und Industrie treibe das Land die Innovation für die nächste Generation von Automobilchips aus Europa voran. Ein weiterer Gewinn also für die Region, die in Deutschland in Bezug auf Innovationen ohnehin weit oben mitspielt: Nach der jüngsten Statistik des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) hat Baden-Württemberg seinen Vorsprung mit 15.494 Patentanmeldungen gegenüber dem Zweitplatzierten Bayern in 2024 sogar noch ausgebaut. Das entspricht einem Plus von 5,7 Prozentpunkten.

Beachtliches Innovationspotenzial in Heilbronn-Franken

Heilbronn-Franken weist dabei laut den aktuellen Zahlen im Patentatlas Baden-Württemberg 2024 mit gut 60 Neuanmeldungen pro einhunderttausend Erwerbstätigen ebenfalls „ein beachtliches Innovationspotenzial“ auf. Die tatsächliche Pro-Kopf-Anmeldezahl in der Region liegt nach Schätzung der Statistiker vermutlich noch höher, „da mehrere Großunternehmen bedeutende Entwicklungsstandorte in der Region haben, aber andernorts anmelden“, wie es im Patentatlas heißt.

Der Erfindergeist der Region wird auch international bemerkt: Heilbronn-Franken wurde kürzlich als eine von sieben Regionen weltweit in das Regional Entrepreneurship Acceleration Program (REAP) des Massachusetts Institute of Technology (MIT) aufgenommen, eines der renommiertesten Innovationsförderprogramme weltweit. Das gab der Verein Wissensstadt Heilbronn e.V. unter Berufung auf die Dieter-Schwarz-Stiftung bekannt, die die Bewerbung für das Programm initiiert hatte.

„Unsere Vision ist es, Heilbronn-Franken als führenden Innovationsstandort in Europa zu positionieren“, betont Miriam Biller, Projektmanagerin der Dieter-Schwarz-Stiftung. Gemeinsam mit Marius Huber leitet sie die Initiative für die Region.

Unternehmer als Gamechanger für Heilbronn-Franken

Nicht nur bahnbrechende Projekte gab es in der Geschichte der Region immer wieder. Sondern vor allem auch Menschen, die Gamechanger waren. Sie schufen zwischen Neckar und Tauber Unternehmen, die Global Player wurden: „Ein Reinhold Würth, ein Dieter Schwarz oder ein Gerhard Sturm haben den Erfolg bei uns gefördert, allein schon, weil sie eine Wirtschaftskraft in die Region gebracht haben, die andere Unternehmen nachgezogen hat“, kommentiert der Neckarsulmer SPD-Landtagsabgeordnete Klaus Ranger. In der Tat hat der Erfolg der großen Mitspieler am Weltmarkt eine hohe Strahlkraft: Seit Jahrzehnten ist Heilbronn-Franken die Region mit der höchsten Dichte an Weltmarktführern, aktuell sind es laut des Weltmarktführer-Index 30 Unternehmen.

Den Index erstellt alljährlich Christoph Müller, Titularprofessor an der Universität St. Gallen. Drei „Future Champions“, Unternehmen, die kurz vor dem Sprung an die Weltspitze stehen, stehen ebenfalls auf seiner Liste. Einer, der die Entwicklung der regionalen Global Player am Weltmarkt seit mehr als 15 Jahren beobachtet, ist Prof. Dr. Bernd Venohr. Er war Mitgründer des „Gipfeltreffens der Weltmarktführer“ in Schwäbisch-Hall und publizierte Titel wie etwa das „Das Lexikon der Weltmarktführer“ und „Wachsen wie Würth“. 2008 erstellte er ein Ranking aller Weltmarktführer der Region Heilbronn-Franken.

Sehr gute Entwicklung der Leitunternehmen

Wie ist die Situation heute? Venohr hält die Unternehmenslandschaft in Heilbronn-Franken trotz der schwierigen Rahmenbedingungen des Standorts Deutschland und der geopolitischen Herausforderungen „noch für intakt“. Rückblickend hätten sich die Leitunternehmen, zu denen Würth, die Schwarz Gruppe sowie ebm-papst zählen, sehr gut entwickelt, „und konnten ihre Marktpositionen meist sogar noch ausbauen“, sagt er. Herausragend sei zum Beispiel bei Würth die Meisterung der Digitalisierung im Stammgeschäft und der starke Ausbau neuer Bereiche wie Würth Industrie und Würth Elektronik. Die Schwarz Gruppe habe im Zeitraum von 2006 bis 2023 ihren Umsatz vervierfacht. Auch einige mittelständische Weltmarktführer, wie etwa Wittenstein, „die 2008 noch ‚in der zweiten Reihe‘ standen, haben sich ganz herausragend entwickelt und ihre Umsätze in diesem Zeitraum zum Teil verdrei- oder sogar vervierfacht“, sagt Venohr.

Leuchtturm auf Weltklasse-Niveau

Dass trotz der Herausforderungen der Erfolgslauf der Unternehmen weiter gehen kann, dafür sieht Venohr Anzeichen – und die hängen mit der Stärke Heilbronn-Frankens zusammen: „Die Rahmenbedingungen haben sich standortbezogen noch verbessert“, diagnostiziert der Wirtschaftsprofessor. Anteil daran hat aus seiner Sicht vor allem die Dieter Schwarz Stiftung, deren gesamte Investitionen rund um den  Bildungscampus Heilbronn Venohr auf einen „mittleren bis hohen einstelligen Milliardenbetrag“ schätzt. Nach wie vor zählten am Weltmarkt Innovationskraft, Qualität und Kundenorientierung. Hierbei sollen die neuen „Mitspieler“ aus der Wissenschaft und Forschung helfen: Mit der TUM und der ETH Zürich seien hoch renommierte Universitäten vertreten, sagt Venohr, außerdem die Fraunhofer- und Max-Planck-Institute, vor allem aber der Innovationspark Künstliche Intelligenz (Ipai).

Venohrs Prognose: „Hier könnte ein ‚Leuchtturm‘ auf Weltklasse-Niveau entstehen, der den Firmen der Region hilft, hochqualifizierte Arbeitsplätze zu gewinnen und entscheidende Impulse aus der Forschung zu erhalten, um ihr Produkt- und Dienstleistungsangebot an der Weltspitze zu halten“. Denn anders als beim Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel hängt der Erfolg Heilbronn-Frankens nicht vom Würfelglück ab, sondern von klugen Akteuren.        

Natalie Kotowski

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