Graichen-Affäre, Heizungschaos, Streit um ein unausgegorenes Gebäudeenergiegesetz: Im Ministerium von Robert Habeck brennt es an allen Ecken und Enden. Eine weitere Baustelle sind die Stromnetze, die dringend ausgebaut werden müssen, wie er im Interview sagt.
Gut gefüllte Gasspeicher, gedeckelte Energiepreise: Wird der nächste Winter für Unternehmen halbwegs entspannt?
Robert Habeck: Deutschland hat sich nach Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine binnen weniger Monate von russischem Pipeline-Gas unabhängig gemacht. Das haben wir durch Einsparungen, aber vor allem auch mit neuen Lieferverträgen und dem Aufbau von schwimmenden LNG-Terminals geschafft. Auch bei Kohle und Öl ist die Umstellung von Lieferverträgen in einer gemeinsamen Anstrengung der Politik und der Unternehmen gelungen. Mit Preisbremsen für Erdgas und Wärme, die zunächst bis Ende 2023 gelten, entlasten wir Haushalte und Unternehmen. Die Energieversorgung ist sicher, wir sind gut durch den Winter gekommen. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass dies auch dauerhaft so bleibt.
Ab 2024 werden noch einmal deutlich mehr Wärmepumpen in Betrieb gehen, außerdem sind immer mehr E-Autos in Deutschland unterwegs: Kann das Stromnetz die massiv steigenden Anforderungen überhaupt bewältigen?
Habeck: Genau daran arbeiten wir gemeinsam mit der Bundesnetzagentur. Hier spielen vor allem Smart Meter, also intelligente Stromzähler, eine wichtige Rolle. Die Smart Meter sorgen für eine sichere und effiziente Integration der Erneuerbare-Energien-Anlagen und steuerbaren Verbrauchseinrichtungen wie Elektroautos und Wärmepumpen. Gleichzeitig schaffen Smart Meter Transparenz beim Energieverbrauch und sind somit Grundlage für Energieeinsparungen und mehr Energieeffizienz bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Die Region Heilbronn-Franken gehört zu den wirtschaftsstärksten Regionen in Deutschland. Müssen Unternehmen Engpässe bei der Stromversorgung befürchten?
Habeck: Die Versorgungssicherheit von Strom in Deutschland ist eine der höchsten weltweit. Dieses hohe Niveau beizubehalten und dadurch den Wirtschaftsstandort Deutschland im internationalen Vergleich zu stärken, ist eine Priorität der Bundesregierung. Untersuchungen der Übertragungsnetzbetreiber und der Bundesnetzagentur zeigen, dass die Versorgungssicherheit sowohl in der kurzen als auch in der langen Frist in Deutschland und damit auch in der Region Heilbronn-Franken gewährleistet ist. Und es gibt ein engmaschiges Monitoringsystem der Bundesnetzagentur zusammen mit den Übertragungsnetzbetreibern, das kontinuierlich arbeitet.
Wie groß ist der Handlungsbedarf bei der Modernisierung der Stromnetze im Südwesten Deutschlands?
Habeck: Der Ausbau der Stromnetze ist auf allen Ebenen erforderlich, von großen Stromautobahnen von Nord- nach Süddeutschland bis hin zu den Verteilnetzen, die den Strom zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern vor Ort bringen. Der Südwesten Deutschlands bildet da keine Ausnahme. Das ist eine große Aufgabe, denn wir müssen hier alle gemeinsam auf allen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – schneller werden. Effiziente Verfahren der Planung und Genehmigung sind unverzichtbar. Deshalb unternehmen wir erhebliche Anstrengungen, diese deutlich zu beschleunigen. Dazu wurde im vorigen Jahr eine große Zahl gesetzlicher Neuregelungen und Reformen auf den Weg gebracht. Jetzt kommt es aber auf die konkrete Umsetzung an.
Heilbronn-Franken will zur Modellregion für Grünen Wasserstoff werden. Inwieweit unterstützt Ihr Ministerium die Bemühungen zum Aufbau der regionalen Wasserstoffwirtschaft?
Habeck: Die Bundesregierung erarbeitet gegenwärtig die Fortschreibung der sogenannten Nationalen Wasserstoffstrategie, die unter anderem auch Aussagen zu dem zukünftigen Wasserstoffbedarf enthalten wird. Das Ziel der Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 erfordert hohe Mengen an Wasserstoff und Wasserstoffderivaten. Sie werden in jedem Fall in Teilen der Industrie, insbesondere in der Stahl- und Chemieindustrie, in der Energiewirtschaft für die Rückverstromung und in Teilen des Verkehrssektors benötigt.
Die Unternehmen brauchen dabei aber die Unterstützung der Politik …
Habeck: Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit die Wirtschaft Verträge schließen kann. Und klar ist: Wir brauchen hier internationale Partner, denn wir werden vor allem auf den Import von Grünem Wasserstoff angewiesen sein. Daher sind Energiepartnerschaften sehr wichtig. Schließlich müssen wir auch die Infrastruktur von Anfang an mitdenken. Das heißt konkret: Wir müssen schnell und effizient eine Wasserstoffnetzinfrastruktur aufbauen. Auch daran arbeiten wir und wollen in Kürze einen Regulierungsvorschlag vorlegen.
Stichwort Grüne Energie: Wo liegt der Vorteil für Unternehmen, sich hier zu engagieren – und was sind Ihre Erwartungen an die Unternehmen?
Habeck: Die Stromversorgung in Deutschland wird Jahr für Jahr „grüner“. Ein beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien ist die treibende Kraft für die Transformation zur Klimaneutralität. Und damit wird der Ausbau erneuerbarer Energien zunehmend zur Standortfrage. Unternehmen siedeln sich dort an und treffen dort Investitionsentscheidungen, wo Grüne Energie ist oder entsteht. Die Energiewende trägt bei zu mehr Unabhängigkeit in der Energieversorgung.
Was sollte Unternehmen dazu anspornen, ihren Teil beizutragen?
Habeck: Die Energiewende eröffnet Unternehmen Räume für Wertschöpfung und Wachstum und sichert so auch in Zukunft Arbeitsplätze. Die Entwicklung von Photovoltaik- und Windenergietechnologien haben gerade deutsche Unternehmen entscheidend nach vorn gebracht. Sich im Bereich von Klimaschutztechnologien zu engagieren zieht – wie auch die jüngste Vergangenheit zeigt – viel Kapital an.
In der Region sind viele Unternehmen angesiedelt, die dem Ausbau der Stromnetze und der erneuerbaren Energien entscheidende Impulse geben. Fördert ihr Ministerium Investitionen in Innovationen?
Habeck: Die Forschung spielt eine entscheidende Rolle beim Übergang zur Klimaneutralität. Energieforschung ist quasi der strategische Schlüssel für die Energiewende und damit sehr wichtig. Das BMWK unterstützt im Energieforschungsprogramm innovative Unternehmen durch Zuwendungen für Forschungsvorhaben. Bei der Förderung haben wir die ganze Energiekette im Blick: von der Gewinnung aus erneuerbaren Quellen über Energieleitung und -speicherung bis zur effizienten Nutzung der Energie in Industrie und Gebäuden.
Interview: Eckart Baier
Zur Person
Dr. Robert Habeck ist seit 2021 Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Mitglied des Bundestags. Von 2018 bis 2020 war er Parteivorsitzender von Bündnis 90 / Die Grünen, von 2012 bis 2018 Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Natur in Schleswig-Holstein.