74 Unternehmen in Heilbronn-Franken haben es schon: das Dualis-Siegel, mit dem sie sich ihre Ausbildungsqualität zertifizieren lassen. Vom „Musterschüler“ bis zum Siegel-Aspiranten mit viel Nachbesserungsbedarf hat Koordinatorin Lisa Feuchtenbeiner von der IHK schon alle Varianten im Audit erlebt.
Frau Feuchtenbeiner, seit mehr als sechs Jahren betreuen Sie als Projektkoordinatorin der IHK Heilbronn-Franken Unternehmen, die die Qualität ihrer Ausbildung mit dem Dualis-Siegel bestätigen lassen. Was muss ein Unternehmen dafür tun?
Lisa Feuchtenbeiner: Wichtig ist, dass die Unternehmen nicht denken, dass sie einfach irgendwann in ein Audit gehen, und dann haben sie das Siegel. Vorher passiert eine ganze Kaskade an Schritten: Als erstes nehmen die Unternehmen Kontakt mit mir auf. Dann erhalten Sie einen Kriterienkatalog, den sie ausfüllen müssen. Dabei geht es um die Selbsteinschätzung der Unternehmen im Hinblick auf ihre Ausbildungsangebote. Wenn sie diese Fragen beantwortet haben, besuche ich das Unternehmen und führe ausführliche Vorgespräche. Ich durchleuchte mit den Verantwortlichen aus dem Personal- oder Ausbildungsbereich den ausgefüllten Kriterienkatalog genau. Was bietet der Betrieb schon, wo gibt es noch Luft nach oben und wo weise ich als Dualis-Beraterin auf Nachbesserungsbedarf hin? Diese Beratungs- und Begleitungsphase vorab ist wichtig, damit die Unternehmen, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt ins Audit gehen, das Siegel auch wirklich bekommen.
Ist der lange Zeitraum bis zum Audit als Chance gedacht, selbst noch nachzujustieren?
Feuchtenbeiner: Ja, dann wissen die Unternehmen durch diese Fremdeinschätzung: Okay, bei diesem oder jenem gibt es noch Handlungsbedarf. Ich rate ihnen dann, die Verbesserungen zu implementieren und sich selbst beispielsweise über ein halbes Jahr lang anzuschauen, ob die Maßnahmen wirken.
Gibt es auch Fälle, in denen sich „nichts tut“?
Feuchtenbeiner: Manchmal greift die Veränderung nur langsam – etwa da, wo die Geschäftsleitung selbst gefordert ist. Es dauert, gewisse Prozesse zu implementieren. Und es gibt auch Unternehmen, bei denen ich schon mehrmals war – und die aber immer noch nicht an dem Punkt sind, wo tatsächlich das Audit stattfinden kann.
Mangelt es da bei den Unternehmen an Selbstkritik?
Feuchtenbeiner: Selbstbild und Fremdbild abzugleichen, ist essenziell – denn oft ist man im Unternehmen betriebsblind. Es ist aber wichtig, sich als Unternehmen mit den Anforderungen an gute Ausbildung auseinandersetzen und dann auch Dinge umzusetzen, Input anzunehmen und selbst an einer Weiterentwicklung interessiert zu sein.
Wo müssen Unternehmen aus Ihrer Erfahrung am häufigsten nacharbeiten bis zum Auditing?
Feuchtenbeiner: Ich habe keine Auswertung darüber. Aber was wir tatsächlich oft ansprechen, sind Themen wie eigenständige Azubi-Projekte, wo man den Auszubildenden die komplette Verantwortung für Projekte oder Aufgaben gibt. Aber auch Angebote wie soziale Projekte sind oft keine integralen Bestandteile der Ausbildung.
Dabei hätte ich soziales Engagement auch als Ausbildungsziel vermutet.
Feuchtenbeiner: Es ist so wichtig, die Azubis gelegentlich aus dem klassischen Umfeld eines Wirtschaftsunternehmens herauszunehmen – und sie beispielsweise mal einen Tag lang bei der Tafel mitarbeiten zu lassen, für Menschen mit Beeinträchtigungen ein Zimmer streichen oder Nistkästen bauen zu lassen. So erfahren sie, wie gut es ihnen eigentlich geht.
Diese Erfahrung zu machen, ist für Berufsstarter wichtig. Gibt es Punkte, wo Sie umgekehrt Unternehmen dazu raten, sich mehr nach den Wünschen der jungen Menschen zu richten?
Feuchtenbeiner: Es sind ganz klassische Dinge, auf die die GenerationZ heutzutage einfach Wert legt: Feedbackkultur – eine Systematik, nach der klar ist, dass es nach drei Monaten, wenn der Einsatz in einer Abteilung beendet ist, ein Abschlussgespräch gibt. Oder dass man sich „mittendrin“ mal eine Viertelstunde zusammen setzt und spricht. Durchgängigkeit und Transparenz bei Lernzielen ist wichtig – schließlich sollen aus den Azubis Fachkräfte werden, die dem Unternehmer weiter zur Verfügung stehen.
Gibt es noch mehr potenzielle Verbesserungspunkte?
Feuchtenbeiner: Ja, beispielsweise die Verschriftlichung und Dokumentation von vielen Ausbildungsprozessen. Ich bin oft in Unternehmen, die sagen: „Ja, diese Ausbildungsinhalte machen wir schon“. Und wenn ich frage: „Wo ist das denn dokumentiert?“, zeigt sich: Gar nicht. Wir befinden uns in einer Übergangsphase von analog zu digital, und tatsächlich kommen inzwischen immer mehr Unternehmen darauf, ein Ausbildungsmanagement-System einzuführen.
Angenommen, ein Unternehmen ist nach dieser Beratungs- und Verbesserungsphase reif für die Zertifizierung. Wer sind die Auditoren?
Feuchtenbeiner: Das Team besteht aus drei externen Auditoren und mir. Externe Auditoren sind immer Personen, die in Dualis-Betrieben arbeiten und maßgeblich mit der Ausbildung zu tun haben – ob das jetzt ein Ausbildungsleiter in der Technikwerkstatt oder eine Personalreferentin ist. Das Audit-Kommitee ist sehr bunt gemischt. Je heterogener die Gruppe ist, desto besser, weil dann auch unterschiedliche Blickwinkel beleuchtet werden.
Kommen die Externen aus wechselnden Unternehmen?
Feuchtenbeiner: Ja. Und das ist mir auch sehr wichtig. Ich kenne ganz Fleißige, die sich gefühlt bei jeder zweiten Audit-Anfrage melden, das ist natürlich schön. Aber man möchte ja jedem die Gelegenheit geben, dabei zu sein. Ich versuche, das relativ fair zu gestalten, sodass jeder mal zum Zug kommt. Denn ein Audit ist auch ein Mehrwert für die Auditoren. Wenn sie in ein Unternehmen gehen und die dortige Ausbildungspraxis erleben, sind das Eindrücke, die ihnen normalerweise verborgen bleiben.
Sind die Auditoren sich meist einig in ihren Einschätzungen?
Feuchtenbeiner: Größtenteils sind wir uns einig – auch, weil wir den Kriterienkatalog als Grundlage haben. Aber nichtsdestotrotz wird in diesen Nachbesprechungen auch lebhaft diskutiert, denn natürlich hat jeder eine andere Sichtweise.
Wie viele Unternehmen sind Musterschüler, bei denen Sie wirklich fast gar nichts zu bemängeln haben?
Feuchtenbeiner: Das sind eher die Ausnahmen als die Regel. Pro Jahr haben wir durchschnittlich 20 bis 25 Zertifizierungen, und kommen auf etwa ein bis zwei Vorzeigekandidaten. Zudem muss man differenzieren: Ist es ein Erst-Audit oder schon die zweite Rezertifizierung?
Denn vermutlich kommt dabei auch irgendwann eine Routine auf?
Feuchtenbeiner: Das Dualis-Siegel bekommen Unternehmen zunächst für drei Jahre, dann müssen sie es mit einer Rezertifizierung erneuern, weitere Rezertifizierungen folgen dann im Fünf-Jahres-Turnus. Bei diesen Rezertifizierungen wissen wir irgendwann, dass im betreffenden Unternehmen die Ausbildungsarbeit gut gemacht wird. Trotzdem findet man auch da immer noch Stellschrauben.
„Voller Stolz tragen wir bei Würth MODYF seit November 2023 das Dualis-Siegel. Wir haben uns aktiv für die Zertifizierung entschieden, weil wir uns als Unternehmen zu einer hohen Ausbildungsqualität und einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess verpflichten. Das Siegel steht nicht nur für hervorragende Ausbildungsstandards, sondern auch für die Wertschätzung und Förderung der Talente junger Menschen. Wir wollen sicherstellen, dass unsere Auszubildenden bestmöglich auf die Herausforderungen des Berufslebens vorbereitet sind. Darüber hinaus fördert die Auszeichnung ein starkes Netzwerk mit anderen Unternehmen und Institutionen. Letztlich profitieren nicht nur die Auszubildenden von dieser Initiative, sondern auch unser Unternehmen als Ganzes.“
Sich Kritik anzuhören, wenn es um qualitative Prozesse geht, gefällt nicht jedem. Bekommen Sie trotzdem positives Feedback von Unternehmen?
Feuchtenbeiner: Sie werden lachen, aber das passiert sogar sehr oft. Die Fachleute sagen mir: Das war damals eine gute Anregung von Ihnen. Wir sind froh, dass wir diese Kritik gehört haben, weil wir etwas verändert haben, und das hat uns viel gebracht.
Ist der Auditbericht manchmal vielleicht auch eine Argumentationshilfe gegenüber der Unternehmensleitung?
Feuchtenbeiner: Ja, ich erhalte oft die Rückmeldung: „Super, dass dieser Punkt damals auch genauso im Auditbericht stand. Denn wir wollten das schon lange umsetzen, und jetzt bewegt sich etwas. Mit dem Bericht hatten wir gegenüber der Geschäftsleitung endlich etwas Schwarz auf Weiß in der Hand. Und konnten argumentieren, dass die Umsetzung dieses Punktes ist wichtig für die Rezertifizierung ist.“
Von dem Zertifizierungsprozess profitieren also die Unternehmen genauso wie die künftigen Auszubildenden?
Feuchtenbeiner: Die Hürden der Zertifizierung sind tatsächlich nicht ganz niedrig, das Siegel ist ein Qualitätsmerkmal. Die einen oder anderen überlegen bestimmt: Stelle ich mich diesem Prozess oder lasse ich es lieber? Insofern ist es super, wenn Unternehmen das Dualis-Siegel erhalten und damit auch werben können. Aber für mich ist es viel wichtiger, dass für die Zertifizierung interne Prozesse im Unternehmen angeschaut werden müssen, und am Ende bei den Verantwortlichen ein Gefühl für den Wert einer guten Ausbildung vorhanden ist.
Zur Person
Lisa Feuchtenbeiner ist Projektkoordinatorin für Dualis-Zertifizierungen bei der Industrie- und Handelskammer Heilbronn-Franken. Unternehmen, die das Siegel erwerben wollen, können sich unter der Telefonnummer 07131-9677454 an sie wenden.
Interview von Natalie Kotowski