Um ein Familienunternehmen erfolgreich an die Nachfolgegeneration zu übergeben, braucht es drei Grundzutaten: genug Zeit, offene Kommunikation und einen Notfallplan in der Schublade. Worauf es sonst noch ankommt, erklärt Professorin Birgit Felden – Leiterin des Studiengangs Unternehmensgründung und -nachfolge und seit 2008 Gründungsdirektorin des Forschungsinstituts für Entrepreneurship, Mittelstand und Familienunternehmen der HWR Berlin – im Interview.
Was zeichnet familiengeführte Unternehmen mit ihrem besonderen Charme im Vergleich zu anderen aus Ihrer Sicht aus?
Birgit Felden: Das sind verschiedene Aspekte. Wie der Name schon sagt, werden in familiengeführten Unternehmen Werte aus dem familiären Umfeld gelebt, wie Emotionalität, Fürsorglichkeit oder Langfristigkeit. Das unterschiedet sie deutlich von Konzernstrukturen, wo es nur um Zahlen, Daten, Fakten geht. Ein zweiter Aspekt ist, dass sie typischerweise in der Region verwurzelt sind, selbst wenn es Hidden Champions sind. Man kennt sich, sitzt beim Feuerwehrfest oder im Schützenverein zusammen und weiß, dass man sich aufeinander verlassen kann. Und das wissen auch die Mitarbeiter. Deshalb arbeiten teilweise auch Mitarbeiter der zweiten Generation in diesen Unternehmen.
In Heilbronn-Franken sind familiengeführte Unternehmen vom Kleinstunternehmen bis zum Weltkonzern vertreten. Woran liegt das?
Felden: Ein Aspekt ist die geographische Lage: Heilbronn-Franken liegt relativ zentral mitten in Deutschland, man ist überall recht schnell. Das ist der logistische Vorteil. Dazu kommt der ländliche Raum, der in früheren Zeiten zu einer Art entrepreneurial Spirit geführt hat. Nach dem Motto „entweder ich übernehme den Hof oder mache mich selbstständig.“ Diese Kultur der Selbstständigkeit führt zu einem unternehmerischen Klima, das dann wiederum andere befruchtet. Wir haben etwa auch in der Region Stuttgart gute Beispiele für Firmen, die zu Millionenunternehmen geworden sind.
Wie kann man zusätzliche Zielgruppen für eine Übernahme erschließen?
Felden: Indem man Neugründer zu Übernahmegründern macht! Noch ist es ein eher moderner Gedanke, wenn man sich selbstständig machen will, erst eine Geschäftsidee zu entwickeln, und dann zu schauen, ob eine Nachfolge also die Übernahme eines bestehenden Unternehmens in Frage kommt, weil es nicht sinnvoll ist, in dieser Branche noch einmal neu zu gründen. Oder doch eine Neugründung zu wagen, weil es kein Unternehmen gibt, mit dem sich die eigene Idee umsetzen lässt. Dieser prozessuale Gedanke, ausgehend von der Geschäftsidee zu überlegen, welche Form der Gründung die beste ist, greift erst ganz langsam.
Unterschiede in der Übergabe von großen und kleinen Familienunternehmen
Welche Unterschiede gibt es bei Nachfolgeregelungen in großen und kleinen Familienunternehmen?
Felden: Hier muss man zwischen der Managementübernahme und einer Eigentumsübernahme unterscheiden. In kleinen Unternehmen geht das in der Regel Hand in Hand: Da übernimmt der neue Eigentümer typischerweise auch die Führung des Unternehmens. In großen Familienunternehmen ist das meist getrennt. Da kann ein Familienmitglied mit im Management sein, muss aber nicht. Und bei vielen ist das nicht der Fall. Dann handelt es sich primär um eine Eigentumsnachfolge. An diese Gesellschafter werden dann andere Anforderungen gestellt: Statt umfassender Managementerfahrung muss er sich für strategische Themen interessieren, grundlegend eine Bilanz lesen können oder ähnliches. Zumindest ist das der Zielzustand.
Dieser Zielzustand wird aber nicht immer erfüllt?
Felden: Richtig. Da bekommen im Ausland lebende Familienmitglieder Anteile, die sich nicht um das Unternehmen kümmern. Kürzlich hatte ich in der Nähe ein Bauunternehmen mit 20 Gesellschaftern, von denen drei in der Firma tätig sind, beziehungsweise eine Nähe zu ihr haben. Die anderen 17 leben teils im Ausland und haben keinen Bezug zum Unternehmen. Und der geschäftsführende Gesellschafter, der im Aufsichtsrat ist, hat die Schnittstellenfunktion zum Management und den übrigen Gesellschaftern. Da haben wir jetzt den Gesellschaftsvertrag geändert, dass der Aufsichtsrat mehr Macht hat, damit die Gesellschafter, die sich nicht kümmern, nicht querschießen.
Stellen Sie Unterschiede in Bezug auf das Alter und die Tradition von Familienunternehmen fest?
Felden: Eines nehme ich bei alten Familienunternehmen häufig wahr – das kann positiv und negativ sein: Entweder trägt diese Traditionen zu einer hohen Stabilität bei, nach dem Motto, „uns gibt es schon seit 200 Jahren, also wird es uns auch noch 200 Jahre geben, egal was wir machen“ oder zu einer gewissen Starrheit nach dem Motto, „das machen wir weiter so, das haben wir schon immer so gemacht“. Umgekehrt können bei einem jüngeren Unternehmen die Zuversicht und Souveränität, die ein alteingesessenes Unternehmen hat, nicht so stark ausgeprägt sein, während auf der anderen Seite Schnelligkeit und Agilität möglicherweise größer sind. Aber das muss nicht so sein.
Gibt es ein Patentrezept, wie die Übergabe in einem Familienunternehmen gelingen kann?
Felden: Es gibt drei Grundregeln, die sich trotz aller Unterschiede bewährt haben. Die erste lautet: früh genug anfangen. Drei bis fünf Jahre muss man in der Regel für eine Nachfolgeregelung einplanen. Die Zweite ist reden, reden, reden. Kommunikation ist das A und O. Sei es über Ziele, Bedürfnisse und Wissensvermittlung, aber auch zu diskutieren, wie mit Mitarbeitern umgegangen werden soll. Und das Dritte ist eine Notfallplanung für alle Beteiligten, falls die Dinge einmal nicht nach Plan laufen.
Was ist ein solcher Notfall und was gehört in einen solchen Notfallplan?
Felden: Die schlimmste Konstellation ist, wenn die nachfolgende Generation schon Anteile bekommen und Führungsaufgaben wahrgenommen hat, ins Koma fällt und damit nicht mehr handlungsfähig ist. Da ist Sterben nicht das Schlimmste, denn dafür gibt es rechtliche Regelungen. Wenn aber jemand im Koma liegt, handlungsunfähig ist, es keine Vertretungsregelung gibt und keiner für ihn handeln kann, führt das in der Regel zur Lähmung. Ich hatte so einen Fall bei einem größeren Familienunternehmen: Einer von zwei Brüdern ist beim Sport ins Koma gefallen und es gab keine Handlungsvollmacht, nichts. Das hat letztlich zur Insolvenz des Unternehmens geführt. Deshalb sollten die ältere und die jüngere Generation Vertretungsregelungen haben, eine testamentarische Verfügung, Betreuungsvollmachten und eine Patientenverfügung. All die Dinge, die man auch privat macht. Das ist das eine. Gerade in kleineren Unternehmen sollte etwa bekannt sein, wo die Ersatzschlüssel liegen oder wie die Passwörter für die Computeranlage lauten. In größeren Firmen ist solches Wissen verteilt. Aber je kleiner das Unternehmen, umso wichtiger ist ein solcher Notfallplan.
Welche Rolle spielt das Alter der übergebenden Generation?
Felden: Die geistige Flexibilität und Vorstellungskraft, was man mit seiner restlichen Zeit anfangen kann, ist mit 50 oder 55 eine ganz andere als mit 85. Es gibt einen Spruch: Mit 60 merkt man, dass man älter wird, mit 70 merken es auch die anderen, mit 80 merken es nur noch die anderen. Insofern wird es für alle Beteiligten einfacher, wenn man früh genug damit anfängt.
Übergabe in Phasen gestalten
Wie gut funktioniert aus Ihrer Erfahrung die Idealvorstellung von der fließenden Übergabe von der älteren auf die jüngere Generation?
Felden: Es ist tatsächlich der Idealfall, wenn so ein schönes Ein- und Ausblenden in drei Phasen gelingt: In der ersten schnuppert der Junior ein wenig rein, übernimmt einige fachliche Aufgaben und merkt, wie das Unternehmen läuft. In der Zweiten werden Verantwortungsbereiche übergeben, am besten weit weg vom Senior, wo der Junior zeigen kann, was er drauf hat, und Erfolgserlebnisse vorweisen kann. Und in der dritten Phase findet der tatsächliche Machtwechsel statt. Meine Empfehlung ist dann – gerade in Familienunternehmen –, wenn der Altinhaber noch im Unternehmen bleibt, die Büros zu tauschen. Das führt auch jedem Mitarbeiter den Machtwechsel vor Augen. Das ist die ideale Variante. Aber sie erfordert von beiden Seiten eine hohe Toleranz – von der Juniorseite, Bewährtes zu bewahren und behutsam zu ändern, und von der Seniorenseite, Neues zuzulassen.
Der Idealfall klappt allerdings nicht immer…
Felden: Nein. In den hunderten Fällen der vergangenen 30 Jahre gab es durchaus Fälle, in denen das nicht geklappt hat. Ich erinnere mich an ein Wohnungsbauunternehmen mit einem extrem patriarchalen Vater. Entsprechend dazu drei Kinder, eher „Duckmäuser“, alle im Unternehmen tätig. Ich konnte verstehen, dass der Vater bei den Kindern nicht loslassen konnte, auf der anderen Seite hatten die Kinder gar keine Chance sich freizuschwimmen.
Wie ist der Fall ausgegangen?
Felden: Das Schicksal hat eingegriffen. Eine schwere Krankheit der Frau des Inhabers hat diesen zum Nachdenken gebracht und er hat Knall auf Fall gesagt, dass er aus dem Unternehmen aussteigt und die Drei alleine klarkommen müssen. Im Nachhinein hat das gut funktioniert.
Welche Möglichkeiten gibt es, wenn das Schicksal nicht eingreift?
Felden: Auch da ist Kommunikation ein wichtiger Aspekt. Man muss mit solchen Patriarchen Klartext reden, damit sie verstehen: „Es ist dein Vermögen. Du kannst es an die Wand fahren, wenn du das willst. Aber mach dir die Konsequenzen bewusst, wenn deine Kinder irgendwann gehen und etwas anderes machen. Wenn du ohne Nachfolge dastehst, ist dir nicht geholfen.“
Das kann dann aber nur jemand von außen tun…
Felden (lacht): Das ist dann die Legitimation für gute und erfahrene Berater!
Welche Vor- und Nachteile hat im Vergleich ein harter, schneller Übergang?
Felden: Auch hier muss man zwischen kleinen und großen Unternehmen differenzieren. Beim Gros der Unternehmen mit 10 bis 30 Mitarbeitenden geht vor allem Wissen verloren: Netzwerkkontakte, fachliches Know-how, Führungs-Know-how. Das ist der Nachteil. Der Vorteil ist, dass der Nachfolger leichter gestalten kann.
Wie kann das funktionieren?
Felden: Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem der Nachfolger das sehr clever gemacht hat: Es war eine Notsituation mit einem Notverkauf und die Mitarbeiter hatten Angst, wie es weitergeht. Da hat der neue Inhaber am ersten Tag für alle eine Betriebsversammlung gemacht. Er hat offen kommuniziert und ihnen gesagt, dass er die ersten zwei Monate alles beobachten wird, ihnen als Profis vertraut, und sie auch anonym Änderungswünsche äußern können. Diese hat er teils sofort umgesetzt und seinen Mitarbeitern so gezeigt, dass er auf sie hört und sie mitnimmt. Bis heute hat er ein fantastisches Verhältnis zu seinen Mitarbeitern.
Worst case-Szenario: Es gibt keinen Nachfolger. Was sollte der Firmeninhaber tun?
Felden: Auch da gilt das Prinzip: früh anfangen. Häufig kommt dann das vorgeschobene Argument, dass, wenn der Wettbewerb das mitbekommt, man keine Aufträge mehr bekommt. Aber wer seinen Kunden mit Mitte 50 zu verstehen gibt, dass er langfristig seine Nachfolge strategisch regeln will und es systematisch angeht, wird keine Kunden verlieren. Wenn man das mit 85 macht, wird das eher ein Thema.
Wie geht man das systematisch an?
Felden: Man fängt dort an, darüber zu reden, wo potenzielle Nachfolger sind: In der eigenen Kammer, man spricht mit seinen Banken, hört sich im Verband um, ob man junge Leute findet. Man schaut im eigenen Betrieb nach, beim Nachbarbetrieb und spricht in der Familie darüber. Im Grunde gibt es fünf typische Nachfolgergruppen: Familienmitglieder im engeren oder weiteren Bereich; externe Personen, das können Mitarbeiter oder auch Personen außerhalb des Unternehmens sein; und dann gibt es die Finanzinvestoren und die strategischen Investoren. In dieser Reihenfolge steigt auch der Kaufpreis. Das Familienmitglied zahlt, wenn überhaupt, am wenigsten, der strategische Investor am meisten. Als Abgebender muss ich diese Optionen kennen und mir entsprechend überlegen, was ich will und was nicht.
Zur Person
Professor Dr. Birgit Felden ist seit 2006 Leiterin des Studiengangs Unternehmensgründung und -nachfolge und seit 2008 Gründungsdirektorin des Forschungsinstituts für Entrepreneurship, Mittelstand und Familienunternehmen der HWR Berlin. Sie ist Autorin zahlreicher betriebswirtschaftlicher Bücher, Referentin für Praxis-Vorträge und Seminare sowie Gründerin der TMS Unternehmensberatung GmbH und in diversen Aufsichts- und Beiräten tätig.
Interview von Birgit Kalbacher