Ein Familienunternehmen zu übernehmen, erfordert von Nachfolgern Mut, Resilienz und gute Netzwerke. Wer diese Voraussetzungen mitbringt, für den kann es sehr erfüllend sein, das Lebenswerk der Vorgänger weiterzuführen – wie gelungene Beispiele beweisen.
Nur 120 Minuten dauerte die offizielle Übergabe der „Firma“. Als vergangenes Jahr König Charles III gekrönt wurde, war er 74 Jahre alt – der älteste britische Monarch, der jemals den Thron bestieg. Ungewollt hat die „Firma“, wie das Königshaus sein Familienunternehmen nennt, den „Prinz-Charles-Effekt“ etabliert. So nennen es Experten, wenn der Senior so lange an der Führung bleibt, bis potenzielle Nachfolger selbst fast zu alt für den Chefsessel sind. Dass manche Ältere nicht loslassen können, ist aber nur die eine Seite. Auf der anderen Seite müssen auch nachrückende Kronprinzen und -prinzessinnen der Aufgabe gewachsen sein, das Lebenswerk der „abdankenden Generation“ erfolgreich weiterzuführen.
Immerhin lässt sich ein neuer Nachfolger in Familienunternehmen nicht in einer zweistündigen Zeremonie wie in der Westminster Abbey inthronisieren. „Diese Verantwortung erfordert eine hohe Resilienz und die Fähigkeit, mit Stress und Unsicherheit umzugehen“, hat Alina Hafner beobachtet. Sie ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut „Global Center for Family Enterprise“ der TUM School of Management in Heilbronn.
Diese emotionale Gratwanderung steht laut IHK in etwa 27.000 Familienunternehmen in Baden-Württemberg bevor, die in den kommenden zwei Jahren übergeben werden sollen. In Heilbronn-Franken plant aktuell etwas mehr als ein Drittel der Familienunternehmen, ihr unternehmerisches Lebenswerk Thronfolgern aus den eigenen Reihen zu überlassen – und beide Parteien wollen sich bestmöglich wappnen.
Verantwortung schrittweise übertragen
Einige Oberhäupter und Erben suchen deshalb vorher Unterstützung bei Marion Faiß, Referentin Unternehmensnachfolge und Finanzierung bei der IHK Heilbronn-Franken. „Viele Unternehmen aus der Region melden sich, wenn es darum geht, einen Fahrplan für die eigene Nachfolge zu erhalten –schließlich übergibt man sein Lebenswerk nicht an einem Tag“, berichtet sie. Ihr Tipp: Familieninterne Übergaben lange im Voraus planen. „Wissen und Verantwortung kann schrittweise übertragen werden, ohne direkt ins kalte Wasser geworfen zu werden.“ Denn wo sich Nachfolger langsam an dieses kalte Wasser gewöhnen dürfen, indem sie frühzeitig in das operative Geschäft eingebunden werden, gelingt der Stabwechsel oft.
Vertrauen und Rückhalt aus der Familie erhalten
Wie im Fall von Julia Schmitt, Leiterin der Unternehmensentwicklung und Mitglied der Geschäftsleitung bei Schmitt Logistik in Schwäbisch Hall-Sulzdorf. Sie vertritt die vierte Generation im Unternehmen. Ein Unternehmen weiterzuführen und zu entwickeln, erfordere Fachwissen, strategische Weitsicht und Innovationsgeist. „Es ist eine große Herausforderung, aber auch Ehre und Motivation.“ Die nötige Kraft für diese Herausforderung beziehe sie aus der Unterstützung und dem Vertrauen ihrer Familie – bis heute sei ihr wichtigster Mentor ihr Vater Günter Schmitt.
Für TUM-Expertin Hafner ein Idealfall: „Eine strukturierte Einarbeitung, gekoppelt mit einer offenen Kommunikation in der Familie, hilft, sich der Aufgabe gewachsen zu fühlen.“ Schon vor der Übergabe transparent zu kommunizieren, rät auch Nachfolge-Moderatorin Faiß von der IHK: „Alle Familienmitglieder sollten frühzeitig in die Gestaltung eingebunden werden.“ Heißt: Alle Betroffenen sollten klare Informationen und regelmäßige Updates erhalten, erbrechtliche Regelungen und Schenkungen thematisiert werden. Um Konflikte zu vermeiden, sei es „wichtig, dass Vereinbarungen, die besprochen wurden, auch schriftlich festgehalten werden. Gerade, welche Rolle jedes Familienmitglied einnimmt, welche finanziellen Aspekte besprochen wurden und wie Aufgaben verteilt sind“, rät sie. Eine externe Beratung oder Mediation könne der Schlüssel zu einer konfliktfreien Übergabe sein.
Denn nicht immer fühlen sich potenzielle Nachfolger von Anfang an mental und fachlich stark genug, ohne beratende Hilfe von Dritten nach dem Zepter zu greifen und es erfolgreich festzuhalten: „Ein unternehmerisches Erbe anzutreten, kann für die übernehmende Generation psychologisch und inhaltlich herausfordernd sein“, sagt Faiß. Aus ihrer Sicht seien Nachfolger manchmal überfordert: „Man will einerseits den Eltern und Großeltern gerecht werden, aber auch von den Mitarbeitern akzeptiert werden. Das Unternehmen weiterzuentwickeln, dabei aber die Unternehmenskultur zu wahren und gleichzeitig neue Geschäftsfelder zu erschließen, erfordert viel Fingerspitzengefühl“. Dazu kämen noch finanzielle und rechtliche Aspekte, wie die aktuelle Bewertung und steuerliche Regelungen.
Der Druck, den Erwartungen gerecht zu werden
Auch TUM-Expertin Hafner kennt das Phänomen: „Psychologisch gesehen kann der Druck, den Erwartungen der Familie gerecht zu werden und das Lebenswerk der Vorgänger weiterzuführen, für Unternehmerkinder sehr belastend sein“, sagt sie. Den Bedarf an externer Beratung hat Unternehmerin Christine Grotz erkannt. Sie ist seit 2017 geschäftsführende Gesellschafterin von Weber-Hydraulik in Güglingen. „Neben meiner Karriere im Konzern habe ich mich als Beraterin für Familiennachfolge selbstständig gemacht“, sagt sie.
Es war nach ihren Worten damals nicht mehr geplant, dass sie in die aktive Geschäftsführung einsteigt. Als das Unternehmen in Schieflage geriet, habe sie aber eine intrinsische Verpflichtung gespürt, die Werte und Visionen zu bewahren und das Unternehmen nachhaltig für die Anforderungen der Zukunft zu rüsten und ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig zu gestalten.
Balance zwischen Tradition und Innovation
Gut vorbereitet war Grotz jedenfalls: „Meine Verbindung zum Unternehmen war natürlich schon immer sehr eng. Als Kind habe ich viel Zeit mit meinem Großvater und mit meinem Vater im Betrieb verbracht, als Jugendliche regelmäßig in unserer Lehrwerkstatt mitgearbeitet. Durch meine langjährige Mitarbeit als Gesellschafterin hatte ich immer Einblick ins Unternehmen.“ Auch fachlich hatte sie die richtigen Weichen gestellt: Abitur am Technischen Gymnasium, Studium zur Wirtschaftsingenieurin und Master in den USA. „Beruflich habe ich wertvolle Erfahrungen bei Daimler gesammelt. Die Arbeit dort war entscheidend für mein Verständnis der Branche und hat mir geholfen, andere Ansätze in das Familienunternehmen einzubringen.“
Mut, neue Perspektiven zu entwickeln – dazu ermuntert auch Hafner, wenn es darum geht, die Balance zwischen Tradition und Innovation zu halten: „Insbesondere jüngere Generationen, die zuvor in einem anderen Unternehmen Erfahrung gesammelt haben, bringen oft klare Vorstellungen über moderne Arbeitsbedingungen wie etwa Work-Life-Balance mit“, sagt sie. Nach ihrer Erfahrung kann es einem Familienunternehmen guttun, wenn Nachfolger das Unternehmen an externe Führungskräfte übergeben oder beispielsweise lediglich im Governance-Bereich – etwa im Aufsichtsrat –Teil der Organisation bleiben: „Das kann nicht nur eine wertvolle Chance für das Unternehmen darstellen, sondern auch den Weg für Innovationen ebnen.“
Auch eine Doppelspitze kann funktionieren
Bei Weber-Hydraulik hat man diese Option genutzt: Mit Yannick Weber hat Grotz seit einem Jahr einen externen technischen Geschäftsführer an ihrer Seite, der auch die Unternehmensstandorte verantwortet. Die Doppelspitze funktioniert: „Wie agieren als gleichberechtigtes Team, das sich in seinen Stärken ergänzt“, sagt er. „Wir teilen ein gemeinsames Verständnis davon, wohin wir das Unternehmen entwickeln wollen. Unsere Verantwortung basiert auf dem selben Werteverständnis und einem starken Fundament von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung“, betont Weber.
Allen, die in ähnliche Positionen nachrücken, empfiehlt Grotz, klare Visionen zu entwickeln entlang der Frage „Wo will ich hin?“, außerdem selbstreflektiert, lernfähig und verantwortungsbewusst zu handeln. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Mut, Neues auszuprobieren, sind wichtige Eigenschaften, darin sind sich Nachfolger einig. Ebenso kann es helfen, Rat und Unterstützung von Dritten einzuholen und Netzwerke aufzubauen: „Der Austausch mit anderen Nachfolgern und das Lernen aus deren Erfahrungen kann sehr wertvoll sein“, hat Expertin Hafner festgestellt.
Dass König Charles III nur wenig Möglichkeiten hatte, sich auf Augenhöhe mit anderen über „die Firma“ auszutauschen, könnte potenzielle Nachfolger in Heilbronn-Franken ermutigen. Sie haben es unter Umständen sogar leichter als ein britischer Monarch.
Natalie Kotowski