Alfred ist 55 und in Rente. Alexander, 34, möchte endlich durchstarten. Beide könnten voneinander profitieren. Wie das geht, beschreibt Gastautor Richard Kaan. Ein Plädoyer für altersdiverse Teams.
Es geht hoch her beim jährlichen Manager-Meeting. „Wir brauchen junge Mitarbeiter“, sagt Walter, der Verkaufschef. „Die Jungen sind digital firm, kennen moderne Verkaufsmethoden und beherrschen alle Software-Programme, die sie brauchen“, ergänzt das Marketing. Und die Geschäftsführung des Pharmaunternehmens fügt hinzu: „Die Älteren gehen bald in Rente, jetzt geben wir der Jugend eine Chance.“
Alexander, 34, Sohn eines Apothekers und einer Ärztin, hat Marketing studiert und sich auf Vertrieb spezialisiert. Seine junge Frau ist hochschwanger, und sie haben gerade eine Eigentumswohnung bezogen. Er selber hat das vergangene Jahr damit verbracht, das notwendige Wissen über alle Produkte, deren Preise, Liefermöglichkeiten sowie deren Wirkung und Nebenwirkungen zu erfassen und digital aufzubereiten. Jetzt ist er bereit, den Job des Außendienstmitarbeiters zu übernehmen, den bislang Alfred innehat. Wissend, dass ein erheblicher Teil des Umsatzes und des Gewinnes des Unternehmens von ihm abhängen wird.
Ältere sind zu teuer und zu unflexibel?
Alfred ist 55 Jahre alt und ein leidenschaftlicher Verkäufer. Mangels Abitur konnte er nicht studieren, fand jedoch durch Zufall in den Pharmavertrieb, wo er sich, wohl auch wegen seiner kommunikativen Fähigkeiten, über die Jahre zu einer unentbehrlichen Stütze des Unternehmens entwickelte. Doch die Zeiten ändern sich. Das Unternehmen wird von einem Größeren übernommen, und ältere Mitarbeiter gelten als „zu teuer und zu unflexibel“. Schließlich wird Alfred mehr oder weniger höflich zum Rücktritt gedrängt.
„Es wäre Zeit, Platz zu machen für einen Jüngeren, der weiß, wie die moderne Welt tickt“, sagt man ihm. Alexander wird ihm zur Seite gestellt, und die beiden Männer arbeiten drei Monate gemeinsam im Verkaufsgebiet. Obwohl Alfred Alexander sympathisch findet, bleibt er meist im Auto sitzen, während sein junger Kollege die Medizinerinnen und Mediziner besucht.
Nach der Übergabe und der Erledigung aller formellen Dokumentationen nimmt Alfred seine Abfindung und geht in Frührente. Er hat keine Partnerin, aber genug Ersparnisse, um sich ein ruhiges Leben zu leisten. Doch schnell wird ihm langweilig, und er vertreibt sich die Zeit mit Kaffeehausbesuchen, Fußballvereinsaktivitäten und Ehrenämtern.
Die Anforderungen können allein nicht erfüllt werden
Alex hingegen tritt voll an. Ausgerüstet mit modernster Technik und voller Elan beginnt er mit Jahresanfang seine Arbeit – nur, die Umsätze bleiben hinter den Erwartungen zurück. Während Alfred im ersten Quartal zwei Millionen Umsatz erzielte, schafft Alexander kaum die Hälfte. Im zweiten Quartal, Alfreds bestem, erreicht Alexander nicht einmal ein Viertel. Damit drohen auch seiner Familie finanzielle Schwierigkeiten, da er mit hohen Provisionen gerechnet hatte, teilweise bereits verplant und ausgegeben.
Auch Vertriebschef Walter sieht seine eine eigene Position schon gefährdet, denn lange kann er der Geschäftsleitung die miserablen Zahlen nicht mehr erklären.
Schließlich schlägt ein älterer Kollege vor, Alfred um Hilfe zu bitten. Walter, dem das sehr unangenehm ist, ruft dennoch bei seinem ehemaligen Außendienstmitarbeiter an. Dieser aber hat so gar keine Lust auszuhelfen, zu frisch ist die Erinnerung an den Rauswurf. Außerdem beginnt er sich langsam an den Ruhestand zu gewöhnen, wenngleich ihm das „Keine Aufgabe haben“ nicht wirklich gefällt. Es bleibt also kaum eine andere Möglichkeit, als sich um Ersatz für Alexander umzusehen. Nur – trotz intensiver Bemühungen wird keiner gefunden; allzu weit gehen die Vorstellungen der Bewerberinnen und Bewerber und jene der Geschäftsführung auseinander. Also muss Alex sich weiter plagen.
Das Jahr vergeht, und bald war es Weihnachten. Alfred, der über Kollegen von Alexanders Schwierigkeiten erfahren hatte, und den ein bisschen schlechtes Gewissen plagte, beschließt Alex und seine Frau zu besuchen. Er bringt ein Plüschtier für den Nachwuchs mit und einen Kuchen für die Eltern. Beim Gespräch über „die guten alten Zeiten“ fasst sich Alexanders Frau dann ein Herz und fragt Alfred zaghaft, ob er Alex denn nicht helfen könnte? Die beiden Männer reden lange, sehr lange miteinander, und am nächsten Morgen begleitet Alfred seinen Nachfolger ins Büro. Als der Chef die beiden sieht, fällt ihm ein Stein vom Herzen und er bietet spontan an, dass beide die vereinbarte Provision bekämen – sie mögen nur den Umsatz wieder steigern!
Altersdiverse Teams haben Erfolg bei den Kunden
Gemeinsam besuchen Alfred und Alex nun wieder die Kunden. Alfred, der sich nun mehr als Mentor denn als Kollege sieht, teilt seine Insider-Informationen: Dr. Herz beispielsweise, der Internist, bevorzugt es, wenn der Pharmareferent sich unter die Patienten mischt und erst nach Aufruf eintritt. Dr. Keuch, die Pulmologin, kann am besten bei ihrer Zigarette um 12 Uhr beim Hintereingang der Klinik erreicht werden, und Dr. Kratzer, der Dermatologe, spricht lieber erst über seine eigenen Kinder, bevor er über Produkte redet.
Das Resultat: Die Umsätze steigen wieder deutlich an. Am Jahresende sind die Zahlen fast wieder auf Alfreds Niveau. Die Kombination aus seiner Erfahrung und Alexanders digitalem Know-how erweist sich als äußerst effektiv. Um aber die Gefahr eines erneuten Umsatzeinbruchs zu bannen, beschließen alle gemeinsam Alexanders Distrikt zu verkleinern und den Rest von Alfred beackern zu lassen – was für zwei Tage in der Woche zur höchst willkommenen Beschäftigung für den erfahrenen Verkaufsprofi wird. Also eine Win-win-win-Situation.
Zum Autor
Richard Kaan ist Autor und Vortragsredner. Seine Themen sind Leadership und „Senior/Junior Skills“. Sein geplanter Vortrag beim Zukunftswiesen Summit analysiert „Das Potenzial von altersdiversen Teams“.
Richard Kaan