Bloß keine „Wackelkontakte“ bei der Mitarbeiterbindung

Vier Erfolgsfaktoren bestimmen, ob Unternehmen Mitarbeiter finden und vor allem langfristig halten können. Was starke Mitarbeiterbindung schafft, hat Susanne Wilpers untersucht, Professorin für Personalmanagement an der Hochschule Heilbronn.

Mitarbeiterbindung
Knifflige Verbindungen: Mitarbeiterbindung und dass Talent-Ströme nicht abreißen, ist für Unternehmen essenziell. Foto: AdobeStock/lazy_bear

Bindungen sind für die meisten Menschen etwas Schönes: Wer jemals Kabelenden in eine Lüsterklemme gequetscht hat, weiß, wie schön es ist, wenn der Strom fließt. Wintersportler mögen den Moment, wenn der Skischuh in die Bindung klickt. Ohne Bindung würden Bücher und auch das PROMAGAZIN auseinanderfallen. Und: Harmonische zwischenmenschliche Bindungen sind der wichtigste Faktor, um glücklich zu sein.

Doch Bindungen lassen sich auch wieder lösen – und genau das stellt Arbeitgeber in Zeiten von Fachkräftemangel vor Herausforderungen. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten spielen mit dem Gedanken, ihren Arbeitsplatz in den nächsten drei bis sechs Monaten zu kündigen. Das ergab eine aktuelle repräsentative Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey & Company unter mehr als 1.000 Beschäftigen in Deutschland im Rahmen des McKinsey HR-Monitors. Die Wechselbereitschaft insbesondere von hoch qualifizierten Talenten, könnte in den kommenden fünf bis zehn Jahren sogar noch deutlich steigen, prognostiziert Zukunftsforscher Sven Gábor Jánsky. Mitarbeiterbindung gewinnt zunehmend an Bedeutung. Doch was müssen Unternehmen tun, damit aus Arbeitsverhältnissen keine „Wackelkontakte“ werden?

Vier Erfolgsfaktoren für die Mitarbeiterbindung

Was nötig ist, um Mitarbeiter anzuziehen und vor allem zu halten, weiß Professor Dr. Susanne Wilpers. Sie lehrt Personalmanagement in der Fakultät Wirtschaft an der Hochschule Heilbronn und definiert vier übergeordnete Erfolgsfaktoren –  sie nennt es „Meta-Ebenen“: „Am wichtigsten sind Authentizität, eine positive Unternehmenskultur, Wertschätzung und Weiterentwicklungsmöglichkeiten“, sagt sie. Arbeitgeber, die in diesen Bereichen punkten, verhindern nicht nur, dass Mitarbeiter  ihre Verträge lösen wie Elektriker, die Kabel durchzwicken. Sie steigern auch ihre Attraktivität für weitere Bewerber, ist Wilpers überzeugt. 

Die gute Nachricht: Die Unternehmen in unserer Region Heilbronn-Franken haben diese vier Faktoren aus Wilpers Sicht gut verinnerlicht. Besonders den traditionsreichen Familienunternehmen gelinge es, authentisch zu agieren: „Einen Wertekanon weiterzugeben, wie im Fall von Würth, wo aktuell gerade die Enkel übernommen haben, zeigt, dass erkannt wurde, wie richtig es ist, dass das große Unternehmen seine familiären Strukturen behält“, sagt die Personal-Expertin. Aus ihrer Sicht sei Würth ein gutes Beispiel für ein großes  Unternehmen, das von wenig Fluktuation profitiere: „Wo Mitarbeiter eben nicht gehen, da bleibt man als Unternehmen stabil, weil man im Gegenzug als Arbeitgeber wertgeschätzt wird“.

Authentizität und eine gewachsene Unternehmenskultur zu vermitteln, fällt nach Wilpers‘ Beobachtung großen, über mehrere Generationen gewachsenen Unternehmen tendenziell etwas leichter: „Sie hatten mehr Zeit, ihre Authentizität zu etablieren als jüngere Firmen und Startups.“

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Prof. Susanne Wilpers lehrt Personalmanagement an der Hochschule Heilbronn. Foto: Hochschule Heilbronn

Individuelle Entwicklungsmöglichkeiten

Ebenso entscheidend für nachhaltige Mitarbeiterbindung ist aus Sicht von Wilpers, dass Unternehmen Arbeitnehmern individuelle Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Die Heilbronner Professorin sieht in diesem Bereich ein deutliches Umdenken: Sie selbst begann als Personalentwicklerin in einem Stahlunternehmen im Ruhrgebiet in den 2000er Jahren. „Damals war es ganz neu, Personalentwicklung aufzusetzen – mittlerweile ist das selbstverständlich“. Und das muss es  in der heutigen Zeit ihrer Meinung nach mehr denn je sein: Gerade in schwierigen wirtschaftlichen Phasen, wenn ein Unternehmen keine neuen Mitarbeiter einstellen könne, sei es wichtig, die Talente zu entwickeln, die bereits vorhanden sind – damit man sie auf andere Positionen einsetzen könne. Ihr Rat: Karrieren nicht abklemmen wie Kabel, sondern fördern.

Genau daran allerdings scheint es in Deutschland zu hapern: Laut McKinseys HR Report werden Mitarbeiter nach Angabe der befragten 500 Personalverantwortlichen zwar durchschnittlich zwölf Tage pro Jahr für die persönliche und professionelle Weiterentwicklung freigestellt. Doch die Hälfte der Unternehmen ermöglicht ihren Beschäftigten weniger Weiterbildungstage – fast ein Viertel der Befragten gaben sogar an, im Jahr 2023 keinen einzigen Tag dafür in Anspruch genommen zu haben.

An Weiterbildung zu sparen, könnte wirtschaftlichem Wachstum den Saft abdrehen: „Fort- und Weiterbildung war noch nie so wichtig wie heute, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist es fundamental wichtig, in die Weiterbildung der Beschäftigten zu investieren“, ist McKinsey-Partner und Personalexperte Julian Kirchherr überzeugt. Das sieht Wilpers genauso: „Unternehmen sollten Mitarbeiter darin schulen, wie man Zukunftstechnologien anwendet. Denn alle modernen Technologien, die in Unternehmen angewandt werden, ziehen andere Talente an“.

Mitarbeiterbindung durch Wertschätzung

Nach ihrer Ansicht sollten HR-Experten sogar noch weiter denken: „Personalentwicklung heißt nicht nur: Ich mache eine Weiterbildung und kann dann irgendetwas besser, sondern es bedeutet eine Laufbahnplanung, sodass ich in verschiedenen Positionen Erfahrungen sammele“, das zahle auch auf die wahrgenommene Wertschätzung ein. Das Gefühl „Ich bin es dem Unternehmen wert, hier zu bleiben, auch wenn ich nicht mehr das mache, was ich vor 20 Jahren gemacht habe“ sei ein wichtiger Baustein wertschätzender, positiver Unternehmenskultur.

Wie wichtig Förderung den jungen Talenten ist, zeigt sich für die Heilbronner Professorin auch in Gesprächen mit ihren Absolventen: „Finanzielle Unabhängigkeit, die irgendwann erreicht sein muss, wird bei ihnen irgendwann vom Wunsch nach individuellen Entwicklungsmöglichkeiten abgelöst.“ Ein gutes Gehalt habe bei vielen heutzutage hohe Priorität, aber um Mitarbeiter langfristig zu binden, sei auch die Chance auf Karriere wichtig.

Dass Geld glücklich macht, deckt sich mit einer weiteren Erkenntnis des HR-Reports: Für 58 Prozent der befragten Angestellten sind es vor allem die angemessene Vergütung und Zusatzleistungen, die sie bei ihrem Arbeitgeber halten – vor gutem Betriebsklima (48 Prozent) und flexiblen Arbeitszeiten (41 Prozent). „Diese Erkenntnis ist nicht neu“, kommentiert Wilpers. Geld gelte seit den 1950er Jahren als Motivator, als Frederick Herzberg in seiner sogenannten Zwei-Faktoren-Theorie feststellte, dass eine bestimmte Höhe des Gehalts nötig sei, um am Arbeitsplatz zufrieden zu sein. Er kam allerdings zu der Erkenntnis, dass mehr Geld langfristig nicht im gleichen Maß mehr motiviere.

Wie der HR-Monitor 2024 von McKinsey & Company zeigt, gehören für beinahe 60 Prozent der befragten Mitarbeitenden Vergütung und Zusatzleistungen zu den wichtigsten Faktoren, um in einem Unternehmen zu bleiben. Grafik: PROMAGAZIN

Vergütung nimmt höheren Stellenwert ein

Trotzdem bemerkt auch die Heilbronner Professorin, „dass Geld gerade bei den Jüngeren der Generation Z einen höheren Faktor einnimmt als früher. Vor der Corona-Pandemie habe der Fokus stärker auf sinnhafter Tätigkeit gelegen. „Da sehen wir gerade Bewegung und vermuten, dass das mit Covid zusammenhängt: Viele haben erkannt, dass Arbeitsplatzsicherheit und Vergütung sehr wohl wichtig ist.“ In der Pandemie sei vielfach Kurzarbeit angesagt gewesen, „und das sehen wir auch in der aktuellen Wirtschaftskrise“. Ihr Fazit: Je unsicherer die Rahmenbedingungen, umso reizvoller das Finanzielle.

Auch kann nach Wilpers Ansicht „Arbeitsplatzsicherheit“ auf die Arbeitgebermarke einzahlen. „Das macht unter anderem Lidl, der sich als sicherer Arbeitgeber positioniert, bei dem die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz nicht verlieren“. In unserer Region gebe es einige Beispiele für gelungenes Employer Branding, sagt die Personal-Expertin: „Womit zum Beispiel Würth – mit denen ich viel zusammen arbeite – beim Employer Branding punktet, ist das Thema Familie. Dort beschäftigt zu sein und zu dieser ‚Familie‘ zu gehören, nutzt Würth als Employer Branding. Das Unternehmen wirbt zwar nicht direkt mit dem Standort Künzelsau, wie beispielsweise Adidas, die ihre Einzigartigkeit auf dem Standort Herzogenaurach aufbauen, aber mit der Arbeitsatmosphäre und Modernität“.

Starke Arbeitgebermarke lockt Bewerber

Würth habe innovative Ideen aus dem New Work umgesetzt und stehe für persönliche Nähe. Denn fest steht für Wilpers: Mit einer starken Arbeitgebermarke dank guter Positionierung fließt der Strom an Bewerbungen metaphorisch in höherer Volt-Zahl: „Employer Branding ist essenziell für kleinere, mittlere und größere Unternehmen. Es gibt diverse Studien dazu. Es ist ganz wichtig, sich abzugrenzen, damit ich als Unternehmen etwas Einzigartiges biete, das mich von Mitbewerbern unterscheidet und sicherstellt, dass Menschen, die zu mir wollen oder bei mir bleiben sollen, sich zugehörig fühlen.“

Von einem Vorteil in Sachen Mitarbeiterbindung profitieren in Heilbronn-Franken übrigens alle – ob große Arbeitgeber oder kleine Handwerksbetriebe, sagt Wilpers: „Diese Gegend ist ein toller Standort mit viel Kultur und sehr schöner Landschaft – auch das schafft Verwurzelung. Personen sind hier nicht austauschbar, der einzelne Mensch spielt eine große Rolle. Das empfinde ich in unserer Region als sehr attraktiv.“               

Natalie Kotowski

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