Vielfalt in Unternehmen: „Diverse“ Vorteile für die Arbeitgebermarke

Unternehmen, die auf Vielfalt setzen, sind innovativer und zugleich für Bewerber attraktiver – das belegen aktuelle Studien und Beispiele aus Heilbronn-Franken. Inklusion und Chancengleichheit sind Top-Motivatoren für kluge Köpfe.

Vielfalt in Unternehmen
Inklusion und Chancengleichheit für alle können für Unternehmen zum Wettbewerbsvorteil werden. Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke

Wenn über einen längeren Zeitraum auf einer Fläche immer wieder die gleichen Pflanzen angebaut werden, sprechen Landwirte von einer Monokultur. Inzwischen ist erwiesen, dass Mischkulturen mit mehr Biodiversität höheren Ertrag bringen. Was in der Land- und Forstwirtschaft gilt, lässt sich längst auf die meisten Branchen anwenden: Vielfalt in Mitarbeiterteams macht Unternehmen mit 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich profitabel, wie die Unternehmensberatung McKinsey kürzlich in einer Studie belegt hat.

Warum Diversity ein Erfolgsfaktor ist, erklärt Prof. Dr. Michael Ruf, Professor für Internationales Personalmanagement an der Hochschule Heilbronn, nachvollziehbar: „Multiperspektivität ist eine Basis für Innovationskraft.“ Ruf, der zehn Jahre lang Weiterbildungsbeauftragter und Geschäftsführer des Heilbronner Instituts für Lebenslanges Lernen (ILL) war, warnt vor zu viel Homogenität: „In solchen Teams denken alle gleich. Unternehmen, die von neuen Ideen und Innovationen leben, brauchen aber unterschiedliche Perspektiven – und die sind in diversen Belegschaften gegeben. Das ist gerade für Heilbronn-Franken mit seinen Hidden Champions ein wichtiges Thema.“

Mit Vielfalt und Chancengleichheit Fachkräfte gewinnen

Bei immer mehr Unternehmenslenkern scheint diese Erkenntnis anzukommen: Laut einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group (BCG) in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftswoche sind drei Viertel der Nachwuchs-Führungskräfte heute davon überzeugt, dass Vielfalt für die Innovationskraft eines Unternehmens entscheidend ist.

Dass gemischte Teams dem Unternehmen eine reichere Ernte an Kreativität, Innovationen und Synergien bescheren, ist aber nur ein Grund, warum sich Unternehmen von Mitarbeiter-Monokulturen verabschieden sollten. Der andere Grund: Diversity kann die Arbeitgebermarke stärken und mehr potenzielle Bewerber anziehen – ganz so, wie eine bunt blühende Wiese mehr Insekten anlockt als einheitliche Bepflanzung.

Ob Herkunft, Kultur, Religion, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter oder Fähigkeiten – nichts motiviert Fachkräfte von morgen mehr als Vielfalt und Gleichberechtigung: Mit 38,2 Prozent rangiert Chancengleichheit auf Platz eins der Top-Motivatoren, wenn es um die Entscheidung für einen künftigen Arbeitgeber geht. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle, repräsentative Studie der IU Internationalen Hochschule. „Das verwundert mich nicht. Wenn ich mit den Studierenden spreche, nennen sie mir genau diese weichen Faktoren“, kommentiert Ruf.

Unternehmen in der Region Heilbronn-Franken setzen Vielfalt um

Seine Publikation „Employer Branding: Arbeitgeberattraktivität in Zeiten des demografischen Wandels“ erschien bereits vor zehn Jahren – und seitdem ist das Thema Diversität für die Arbeitgebermarke aus seiner Sicht immer wichtiger geworden: „Das hat mit den Entwicklungen am Arbeitsmarkt zu tun, Stichwort Fachkräftemangel. Wir beobachten seit Längerem eine zunehmend diversere Belegschaft – weil Unternehmen plötzlich Zielgruppen adressieren müssen, die sie bislang nicht auf dem Plan hatten.“ Unternehmenskultur, Führungsstil und eben auch Diversität würden immer stärkere Differenzierungsfaktoren im Wettbewerb um Mitarbeiter.

Die Arbeitgeber haben diese Vorteile offenbar erkannt: 49 Prozent der Unternehmen ab 20 Beschäftigten haben das Ziel verankert, die Diversität in der Belegschaft zu erhöhen, weitere 31 Prozent beschäftigen sich damit. Das ergibt eine repräsentative Befragung des Digitalverbands Bitkom unter mehr als 600 deutschen Unternehmen anlässlich des internationalen Pride Month im Juni. Professor Ruf kennt indes auch Fälle, in denen Diversity eher ein Lippenbekenntnis ist: „Ich kann nicht leugnen, dass es Unternehmen gibt, die sich Vielfalt nur pro forma auf die Fahnen schreiben, um das Image aufzupolieren. Aus meiner Erfahrung rächt sich so ein Vorgehen bitterlich.“ Es sei ein Grundsatzphänomen im Employer Branding, dass manche Arbeitgeber ihre attraktive Außendarstellung „nach innen nicht halten“. Das spreche sich in Zeiten von Social Media und Bewertungsportalen aber schnell herum.

Für Heilbronn-Franken hat Ruf eine gute Nachricht: Firmen, die Vielfalt nicht nur versprechen, sondern umsetzen – in der Region gibt es sie. „Dort genügte ein Besuch in der Kantine, um festzustellen, dass die Belegschaft recht divers ist. Viele in Heilbronn-Franken setzen Diversity praktisch um, auch wenn sie das nicht explizit in ihrem Leitbild nennen“, sagt der Personalmanagement-Professor.

Positive Effekte der Inklusion im Arbeitsalltag

Eines dieser Musterbeispiele ist die Veigel GmbH in Öhringen. Das Traditionsunternehmen ist nach eigenen Angaben Europas führender Hersteller für behindertengerechte Pkw-Ausstattungen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gab es in Deutschland zuletzt 7,9 Millionen anerkannte Schwerbehinderte. Für den Öhringer Automotive-Spezialisten ist es selbstverständlich, dieses Potenzial zu nutzen. „Etwa 18 Prozent der Belegschaft haben Inklusionsbedarf – das ist nicht nur eine Zahl, sondern ein Zeichen dafür, dass bei uns ganz unterschiedliche Menschen ihren Platz finden“, sagt Markus Koffler, Einkaufsleiter bei Veigel.

Ruf nennt Veigels Strategie „konsequent und authentisch“: Produktpalette und Unternehmensphilosophie seien „durchgängig, und was durchgängig ist, wirkt glaubhaft“, auch wenn diese Übereinstimmung zwischen Produkt, Zielgruppe und Mitarbeitern kein ausschließliches Kriterium für gutes Employer Branding sei.

Dem Öhringer Automotive-Spezialisten jedenfalls bringt die Offenheit für Inklusion laut Einkaufsleiter Koffler spürbar positive Effekte im Arbeitsalltag: „Viele Einschränkungen sind nicht auf den ersten Blick sichtbar“, erläutert er, „aber das Bewusstsein dafür schafft eine Kultur der Rücksichtnahme, des Zuhörens und des Miteinanders. Diese Vielfalt ermöglicht es uns, breitere Perspektiven einzunehmen – sei es in der Produktentwicklung, im Kundenkontakt oder im internen Austausch.“

Diversität in Unternehmen: Führungskräfte haben eine Vorbildrolle

Wenn er sich unter seinen Kollegen umhöre, sei die positive Resonanz bemerkenswert: „Ich habe mehrfach erlebt, dass auf meine persönliche Situation Rücksicht genommen wurde – ob durch Flexibilität im Alltag oder durch ein offenes Ohr in schwierigen Phasen“, sagt eine Mitarbeiterin. Sie empfinde es als wertvoll, dass bei Veigel nicht „Funktionieren“ im Vordergrund stehe, sondern der Mensch: „Das sorgt für eine besondere Loyalität und Motivation.“ Ein anderer Befragter lobt: „Ich fühle mich als Mensch gesehen – mit all meinen Stärken, aber auch mit Herausforderungen. Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass man mit seinen Bedürfnissen nicht allein ist und dass Rücksichtnahme kein Tabu ist.“ Für die Veigel-Mitarbeiter ist Chancengleichheit offenbar schon jetzt der Top-Motivator schlechthin.

Denn eine glaubhafte Arbeitgebermarke umfasst nach Professor Rufs Erfahrung zwei Aspekte: zum einen die Marketing-Sicht, „um sich für seine Zielgruppe und Bewerber positiv zu branden. Aber auch die Organisationsentwicklung: nach innen Strukturen und Denkweisen zu verändern und Instrumente einzuführen, um das Unternehmen voranzubringen. Das macht gutes Employer Branding aus“, sagt er.

Entscheidend für so einen Kulturwandel ist die Rolle der Unternehmenslenker selbst: Annähernd neun von zehn Auszubildenden und Studenten gaben in der Studie der IU an, dass Führungskräfte eine Vorbildrolle in Sachen Diversity und Inklusion einnehmen sollten. Genau das tut Christine Grotz, geschäftsführende Gesellschafterin der Weber-Hydraulik GmbH. Die Enkelin des Unternehmensgründers Emil Weber leitet das Güglinger Traditionsunternehmen gemeinsam mit Yannick Weber, Technischer Geschäftsführer, als „gemischtes Doppel“: Die Spitze ist nicht nur familienintern und -extern, sondern geschlechterparitätisch besetzt. Für sie ein sinnvolles Modell: „Ich empfinde diese Diversität als echte Bereicherung – nicht wegen Geschlechterrollen, sondern wegen der Vielfalt an Charakteren, Erfahrungen und Perspektiven. Mein Kollege und ich bringen unterschiedliche Blickwinkel ein, die sich gut ergänzen. Das führt zu offeneren Gesprächen, besseren Entscheidungen und mehr Transparenz. Wir hören einander zu, diskutieren auch mal kontrovers und finden dann gemeinsam Lösungen, die wir beide tragen. Genau diese Offenheit stärkt unsere Kommunikation, unsere Kultur – und unser Unternehmen.“

Vielfalt als Wettbewerbsvorteil bei der Suche nach Fachkräften

Sie ist überzeugt: „Vielfalt stärkt unsere Arbeitgebermarke – besonders in Zeiten von Fachkräftemangel und Globalisierung. Ein offener, wertschätzender Umgang mit Diversity macht uns nicht nur für Bewerberinnen und Bewerber attraktiver, sondern unterstreicht auch intern, dass bei uns Qualifikation, Teamgeist und Menschlichkeit zählen“, sagt sie. In einer Branche, in der Frauen nach wie vor unterrepräsentiert sind, setzt sich die Unternehmensgruppe gezielt für ihre Förderung ein – ohne Sonderrollen zu schaffen. „Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft Vielfalt endlich als wertvollen Gewinn begreifen und nicht als Aufgabe, die es abzuhaken gilt.“

Denn dass Vielfalt nicht nur ein wertvoller Gewinn, sondern ein klarer Wettbewerbsvorteil bei der Suche nach Fachkräften ist, belegt auch die IU-Studie: Mehr als zwei Drittel der Auszubildenden und Studierenden erwarten demnach von potenziellen Arbeitgebern, dass sie Maßnahmen zugunsten von Diversity und Inklusion ergreifen. Beim Hydraulik-Spezialisten aus Güglingen hat man das erkannt: „Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Perspektiven bereichern unser Unternehmen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe oder einer Beeinträchtigung. Für mich ist Vielfalt kein Trend, sondern eine unternehmerische Notwendigkeit in einer zunehmend vernetzten Welt“, sagt Grotz.

So sieht es auch der Heilbronner Hochschulprofessor: „Viele Unternehmen in der Region Heilbronn-Franken, etwa in der Automotive- und Maschinenbaubranche stehen vor einem Transformationsprozess“, das sei allen Betroffenen klar. „Das bedeutet aber auch, dass man künftig ganz unterschiedliche Bewerber-Zielgruppen ansprechen muss. Umso wichtiger wird es sein, als Arbeitgeber attraktiv zu sein“, ist Ruf überzeugt.

Vielfalt als Notwendigkeit für Unternehmen

Davon muss Staël Tchinda niemand überzeugen. Als CTO und Mitgründer der Matching-Plattform Senior Connect treibt der gebürtige Kameruner digitale Lösungen voran, die erfahrenen Fachkräften ab 50 Jahren den beruflichen Wiedereinstieg erleichtern. Tchinda, der seinen Master in Machine Learning & Data Analytics an der TU München erwarb, befasst sich schon aufgrund seiner Herkunft jeden Tag mit Diversity: „Ich bin selbst in einem Land aufgewachsen, in dem vieles anders funktioniert – etwa, wie Menschen handeln, Geschäfte machen oder kommunizieren“, erzählt er. „Diese Unterschiede fordern uns heraus, unsere Denkweisen und Strategien immer wieder zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.“ Doch genau das sei bei Senior Connect ein Erfolgsfaktor: „Vielfalt ist für uns kein abstraktes Konzept, sondern gelebte Realität. Sie bringt manchmal Reibung, aber gerade darin liegt ihre Stärke – denn unterschiedliche Perspektiven ermöglichen bessere Entscheidungen und nachhaltigere Lösungen.“

Trotzdem bemerkt Tchinda Zurückhaltung bei einigen Kunden des Start-ups: „Häufig begegnet man Menschen mit vorgefertigten Annahmen – zum Beispiel, dass jemand Ü50 zu langsam sei. Oder dass eine Frau zu emotional reagiere. Oder dass eine Person aus einem anderen Land nicht intelligent genug sei, um komplexe Aufgaben zu übernehmen. Solche Annahmen blockieren Potenziale und verhindern echten Austausch.“ Seine Erfahrung zeige aber immer wieder, „wie zum Beispiel Senior Experts mit ihrer Ruhe, Lösungskompetenz und Weitsicht komplexe Herausforderungen effizient lösen – oft schneller und nachhaltiger als erwartet.“

Immerhin: Eine wachsende Zahl von Unternehmen erkennt nach Tchindas Ansicht, dass es die Arbeitgebermarke stärkt, auch Arbeitssuchende einzubeziehen, die nicht dem „gewöhnlichen Bild“ entsprechen. Denn diesen Talentpool auszuklammern, können sich Arbeitgeber nicht mehr erlauben. „Es geht nicht mehr darum, ob sich Unternehmen Diversität leisten wollen – sie werden sie sich leisten müssen angesichts des demografischen Wandels“, ist er überzeugt. Wer auf die Wunschbewerber-Schablone setze, „versperrt sich ein riesiges Potenzial an Wissen.“ 

Natalie Kotowski

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